Das Album »Who Believes in Angels?« von Elton John und Brandi Carlile
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This feeling inside
Das Album »Who Believes in Angels?« von Elton John und Brandi Carlile
Von Eileen Heerdegen
Mein erster Teddy hieß Petzi, wahrscheinlich der von meinen Eltern praktischerweise übernommene Modellname der Firma Steiff. Die späteren Kuschelbären taufte das intellektuell frühreife Kind nach Max Frisch in Gantenbein und nach Roman Polanski in Katelbach um, der dritte hieß Reggie, nach Reginald Kenneth Dwight. Das allerdings erst, nachdem ich erfahren musste, dass mein Versuch (der mir bis heute verwandtschaftlichen Spott beschert), im dicken Wälzer einer der knallroten Londoner Telefonzellen nach John Komma Elton zu suchen, in jeder Hinsicht zum Scheitern verurteilt war.
Die Opernplatten meines Vaters – Eileenchen setz dich und hör, wie schön das ist –, Rudolf Schock, »Tiefland« (Martha bring mir Brot und Käse), bis heute unvergessen ein Graus. Besser war Papas großes Uher-Tonband, auf dem die Hitparade aufgezeichnet wurde und sich mir zum »Gantenbein« oder »Hanni und Nanni« (damals konnte ich noch gleichzeitig lesen und hören) langsam, aber sicher ein Lied in meinen Kopf schob, den es bis heute nicht verlassen hat: »Your Song« von Elton John aka Reggie Dwight. »It’s a little bit funny, this feeling inside«, das passte perfekt in die neblige Welt zwischen Kind und Teenager.
Damals konnte man sich auch als Schülerin über den Kulturring der Jugend Rock- und Popkonzerte leisten, es gab keine »Row zero«, der Auftritt von Elton John in der eher überschaubaren Hamburger Musikhalle war ein durch und durch ungetrübtes, grandioses Erlebnis. Elton John noch mit normaler Brille, dafür aber mit exzentrischem rot-grün-gestreiftem Pluderhosengewand eines Renaissancehöflings auf dem Piano turnend und im Handstand spielend. Nicht immer fröhlich: »Who’ll walk me down to church when I’m sixty years of age / When the ragged dog they gave me has been ten years in the grave / My rosary has broken and my beads have all slipped through / I’ve no wish to be living sixty years on.« – »Sixty Years On«, einer der wunderbaren alten Songs, und natürlich leicht zu singen und mitzusingen, wenn 60 noch Jahrhunderte entfernt ist.
»Ich habe mein ganzes Leben lang mit Elton gesungen – er wusste es nur bis vor etwa zehn oder 20 Jahren nicht«, erzählt Brandi Carlile. Ging mir ähnlich, nur dass er es bei mir nie wissen wird, während die amerikanische Musikerin die aufregende Chance wahrnehmen konnte, gemeinsam mit ihrem Idol ein ganzes Album zu bestreiten: »Who believes in Angels?« Nach 33 Studioalben, vier Liveplatten, unzähligen Compilations, Duetten, Soundtracks usw. ist die Zusammenarbeit mit der eher im Folk und Country verwurzelten Carlile Elton Johns zweites Gemeinschaftsalbum seit »The Union« 2010 mit Leon Russell.
Meine letzte LP war »Goodbye Yellow Brick Road«, seither haben wir uns auseinandergelebt, und »Who believes in Angels?« wird die Beziehung nicht kitten. Ich mag diesen kleinen, dicken, mittlerweile alten Mann, der sich während der Aufnahmen oft verzweifelt und wütend in immer wechselnden Couture-Trainingsanzügen mutig filmisch begleiten ließ. Aber schon der Opener, »The Rose of Laura Nyro« schmerzt mich. Eine Hommage an eine queere US-Singer-Songwriterin der 60er Jahre und möglicherweise der Wunsch, noch mal den »Candle in the Wind/Englands Rose«-Moment herbeizuzaubern mit Zitaten des »Funeral for a Friend«. In der Tat erinnert das Intro an den geheimnisvollen Wind und Orgel-Beginn des ersten Songs auf »Goodbye Yellow Brick Road«, aber während 1973 noch ein ekstatischer Piano Player das Klavier bearbeitete, quält sich heute ein Synthesizer gegen eine Übermacht von Kreischgitarren. Das Original ist natürlich nicht mehr zeitgemäß, aber es hat Klasse, es hat Seele. Die aktuelle Adaption hingegen wirkt wie die Missgeburt einer KI. Aber schlimmer geht immer: Der Gesangspart mit der kinderliedähnlichen Melodie – ich habe nicht lockergelassen, Shazam erfolglos mit meinem Gesang gequält und mir das Hirn zermartert, endlich mit Erfolg: »Down by the River« von Albert Hammond. Vielleicht hat Brandi Carlile auch dessen Songs immer gesungen.
Auch die zweite Nummer, »Little Richard’s Bible« klingt weniger nach einer Neuauflage von Johns »Crocodile Rock« oder »Saturday Night’s Alright for Fighting«, eher ein bisschen nach »Bad, Bad Leroy Brown« von Jim Croce. Na gut, es gibt wahrlich Schlimmeres. Aber auf diesem Album leider auch nicht so wahnsinnig viel Besseres. Spätestens bei »Swing With the Fences« wird die leicht mal klirrende Stimme von Brandi Carlile einfach zu dominant, dabei kann sie durchaus anders, »You Without Me«, ein wirklich hübscher Song über das Erwachsenwerden ihrer Tochter, nur eben nichts, was ich auf einem Elton-John-Album vermissen würde.
Nur den einzigartigen, den berührenden Elton John, den vermisse ich. Wenn das Löwenbaby zu »The Circle of Life« in den Himmel gehoben wird, dann ist das Kitsch, aber grandioser Kitsch, der dir die Tränen in die Augen treibt, weil er dich genau an deinen Ängsten, deinen Wünschen und Hoffnungen packt. Elton John hat bei Bedarf noch nie mit Schmalz und Süßem gegeizt, auch schon mal hart am Rande des too much. Aber während vor allem in den frühen Werken Gospel und Funk-Elemente einen guten Kontrapunkt setzten, verschwimmt der Meister mit Brandi Carlile in durchaus gut gemachtem, aber oberflächlichem Pop.
78 Jahre alt ist er nun, er, der nicht einmal 60 werden wollte. Und natürlich kann er es immer noch. »None of this came easy / The shadows, the curtain, or the light / The pain inside the leaving, the taming of the demons / No longer any reason left for me to fight.« Das Beste kommt zum Schluss: »When This Old World is Done With Me«. Nur ein Klavier und dieser »schaasaugerte« (wie der Wiener sagt) junge Mann aus der Musikhalle damals, mit dem ich erwachsen und alt geworden bin. »When this old world is done with me / When I close my eyes / Release me like an ocean wave / Return me to the tide.«