»Zierde seines Throns«

Ein feministischer Orkan: Stefanie Reinsperger ist »Elisabeth!« im Wiener Burgtheater

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»Zierde seines Throns«
Ein feministischer Orkan: Stefanie Reinsperger ist »Elisabeth!« im Wiener Burgtheater
Von Eileen Heerdegen

Mit festen Schritten rauscht Stefanie Reinsperger in einem Ungetüm von Kleid – schwarzer Taft mit meterlanger Schleppe – durch den Zuschauerraum auf die Bühne und übt sogleich das Ende: »Was ist nur mit mir geschehen?« Pathetisch deklamierend, nur nicht nachlassen, auch im Tod gut aussehen. Denn das waren angeblich die letzten Worte der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, und die hatte schließlich einen Ruf als überirdische Schönheit zu verlieren, als sie am 10. September 1898 in Genf ermordet wurde.

Ein böser Witz der Geschichte, ausgerechnet die berühmteste Magersüchtige aller Zeiten wird von dem Anarchisten Luigi Lucheni mit den Worten erstochen: »Wer nicht arbeitet, soll nicht essen.« Sisi oder auch Sissi (»Nein, Elisabeth!«) war ihrer Zeit voraus. 127 Jahre nach dem Tod der Kaiserin ist, vor allem für Frauen, körpertechnisch bald der Zenit an Selbstoptimierung erreicht. Neben monströsen Arsch- und Tittenimplantaten zählt vor allem Verzicht. Wenn Frauen schon auf gerechte Bezahlung und Karriere verzichten, warum nicht auch aufs Essen? Auf Selbstachtung sowieso. Wieviel Luft ist zwischen der Size Zero und der Row Zero, der Frischfleischtheke für den echten Rocker?

Frischfleisch – ernährt hat sich Sisi unter anderem von etwas Saft aus gepresstem Fleisch, bei der Autopsie werden Hungerödeme diagnostiziert. »Wenigstens hab’ ich noch Eis gegessen, bevor der Lucheni mich erstochen hat, mein Veilchengefrorenes. Wie wund dieser Körper ist, den du ein ganzes Leben lang gemartert und geschunden hast. Und genau dafür bin ich berühmt. Genau dafür werde ich verehrt. Weil ich wenig war.«

In altem Burgtheater-Wienerisch, im typischen Singsang, lässt Reinsperger nun die Zeitzeugen zu Wort kommen, entzückt werden magere, gar gebrechliche Hände gepriesen, die an frierende Blumen erinnern, schimmernde Blässe und eine fließende Gestalt. »Sie geht weniger als sie wandelt – eher könnte man sagen, sie gleitet.«

Stefanie Reinsperger gleitet nicht, sie ist auch nicht »wenig«. Und schon outet sich im berühmt-berüchtigten Forum des österreichischen Standard der erste als Volldepp. Sie sei eine Fehlbesetzung, Sisi sei nicht so rund gewesen.

2017 und 2018 war Reinsperger die Buhlschaft im Salzburger »Jedermann«. Über die Anfeindungen, sie sei zu fett, hat sie später ein Buch geschrieben: »Ganz schön wütend«. Sie berichtet dort von einem Mann, der ihr aufgrund einer Rolle als Vergewaltigungsopfer schrieb, so eine dicke Frau wolle doch niemand vergewaltigen.

Das Theaterstück »Elisabeth!« der Salzburger Autorin Mareike Fallwickl ist ein hochintelligentes, berührendes, bedrückendes, aufrührendes Beispiel für zeitgemäßes politisches Theater. Die »österreichische Kitschbitch« – so Regisseurin Fritzi Wartenberg über die Frau, deren Bildnis auf allem, was Touristen kaufen, »pappt« – dient als Erzählerin ihrer eigenen, aber auch der Geschichte einiger genannter und Millionen ungenannter Frauen. Stefanie Reinsperger, die in Berlin als »Theatermacher« und aktuell in Wien in der Rolle des »Liliom« wieder eindrucksvoll bewiesen hat, dass sie nicht Mann oder Frau spielt (und nicht dick oder dünn), sondern eine Figur, eine Rolle, ist dieser Monolog von Fallwickl auf den glücklicherweise nicht »gebrechlichen«, sondern kräftigen Leib geschrieben worden.

Denn Kraft braucht sie für diese unglaubliche, mehr als 100minütige Wutrede, die einen weiten Bogen spannt, von einer für die Habsburger Monarchie missbrauchten 15jährigen, über Gisèle Pélicot bis zur algerischen Boxerin Imane Khelif, der nach ihrem Olympiasieg unterstellt wurde, keine richtige Frau zu sein. »Die ist ja stark. Die ist roh und kräftig. Also sicher nicht weiblich!«

In zehn »Exerzierübungen« – nur unterbrochen, durch wilde, punkige Musik von den in braven Matrosenkleidern am Rand sitzenden Lilian Kaufmann (Schlagzeug) und der beeindruckenden Gitarristin und Sängerin Leni Ulrich (ehemals Bipolar Feminin) – zieht Reinsperger alle Register ihrer Kunst, entledigt sich nach und nach der äußeren Sisi-Hülle. Quält sich minutenlang aus dem Korsett, philosophiert über ihre lästigen, aber »geilen« meterlangen Haare, um sie schließlich im Publikum abschneiden zu lassen, wird zwischendurch mal eben mit Backenbart Kaiser Franz Josef, der sie als »Zierde seines Throns« bezeichnet und den gemeinsamen, sensiblen Sohn ein »Krepierl« nennt. Kronprinz Rudolf, der später in Mayerling einen Femizid an Mary Vetsera begehen und sich danach selbst töten wird.

Die Stimmung zu Beginn ist heiter, es wird viel gelacht. Stefanie Reinsperger erfreut das Publikum mit Anekdoten und derbem Wienerisch. Nach und nach vergeht das Lachen. 1848, eine hungernde Bevölkerung, gründete Karoline von Perin den ersten Demokratischen Wiener Frauenverein. Die Revolution scheiterte, von Perin wurde inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt. Nie von ihr gehört?

»Ich geb’ mein Gesicht, ich geb’ meine Geschichte. Denn wenn eine Frau die Wahrheit sagt, erschafft sie einen Raum um sich, in dem auch andere Frauen die Wahrheit sagen können.«

»Ich gehör’ nur mir – das ist die wohl zynischste Zeile, die je auf einer Bühne gesungen wurde.« Leni Ulrich brüllt es heraus, und bei aller Begeisterung ist es unfassbar traurig, festzustellen, dass sich in all dieser Zeit wenig geändert hat. Nicht nur für uns Frauen.

»Der Lucheni ist von Genua über die Alpen in die Schweiz gewandert, ohne Schuhe. Durch den Mord an mir hat er sich Aufmerksamkeit erhofft für die Sache, für die hungernde Bevölkerung, für die strukturelle Ungerechtigkeit, dass es Überreiche gibt und andere, die nichts haben. Wenn er wüsste, dass die Überreichen heute Raketen bauen und Internetplattformen kaufen und halb Amerika zerlegen, würde er sich wahrscheinlich gleich noch mal mit seinem Gürtel erhängen.«