Robert Stadlober präsentiert Tucholsky in Text und Musik: »Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut«
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»Wir könnten zurücklächeln«
Robert Stadlober präsentiert Tucholsky in Text und Musik: »Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut«
Von Eileen Heerdegen
»Satire darf alles«, befand Kurt Tucholsky 1919 – bei uns gilt das ausschließlich für Dieter Nuhr. Oder für Sascha Lobo, oder für Politiker, die über Abschiebungen nach Afghanistan nachdenken, weil es »eine ganze Reihe von Hinweisen« gebe, »dass jetzt nicht jedem, der da über die Grenze geht, der Kopf abgeschlagen wird«.
Eine echt faire Chance also, zumal die, um die es da momentan (noch) geht, ihrerseits keine Waisenknaben sind. »La race maudite, à laquelle nous appartenons« (die verfluchte Rasse, zu der wir gehören), zitiert Kurt Tucholsky den »Alten Fritz«, der mit sehr gutem Grund seine Windhunde mehr liebte als die Menschen, in seinem Essay »Erfüllung«. Eine Parabel über die Liebe zu Pferden und die Erkenntnis, »wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut«.
Unter diesem Titel hat der Schauspieler und Musiker Robert Stadlober nun ein Buch mit 39 ausgewählten Texten von Tucholsky herausgebracht, dazu ein Album mit zwölf musikalischen Umsetzungen. Nach seinem Musikprojekt »HEYM«, mit vertonten Texten von Stefan Heym, hat Stadlober sich mit Kurt Tucholsky erneut einen deutschen Dichter, Denker und Mahner ausgesucht, der weiterhin brandaktuell ist. Der heute wohl als Lumpenpazifist (»Soldaten sind Mörder«) und Demokratieverächter beschimpft würde, weil er ohne Rücksichten zutiefst misstrauisch gegen das Unehrliche, Korrupte und die selbstgefälligen Sprüche war.
Tucholsky steht auch für das genau Beobachtende, Rebellische und im guten Sinn Respektlose, das Kunst auch sein sollte. Der in Kärnten geborene Wahlwiener Robert Stadlober passt zum großen Berliner Kurt, nicht nur, weil er, selbst in Berlin aufgewachsen, die Texte mit der passenden Sprachfärbung präsentieren kann. »Aus seiner Zeit kann Keiner springen. Und wie beneid ich die, die gar nicht ringen. Die habens gut. Die sind schön dumm« (»Zweifel«). Stadlober hat nie einen Hehl aus seiner antifaschistischen und antikapitalistischen Haltung gemacht, aber er ringt auf seine Weise. Mit romantischer Sehnsucht nach dem Miteinander, eher anarchistisch als kitschig. Oder, wie er selbst im Nachwort des Buches über die Freude des sich Vorbeistehlens an sinnlosen Grenzen und Verpflichtungen schreibt: »Die kurzen Momente der Genossenschaft, der Gemeinsamkeit gegen die herrschende Ordnung. Die Augenblicke, in denen die sinnvolle Unvernunft triumphiert über die Qualen der sinnlosen Vernunft. Das zumindest wäre eine Erklärung dafür, warum mich diese Texte heute noch so treffen.«
So wie Robert Stadlober im aktuellen Kinofilm »Führer und Verführer« als Joseph Goebbels in der Rolle als dämonisch-klebriger Verehrer seines Führers überzeugt, so beweisen auch Vor- und Nachwort des Textbandes mit einer überraschenden Adaption der Sprache Tucholskys, dass Stadlober sich auch hier so richtig hineingestürzt hat. Dass ihm diese Annäherung deutlich leichter gefallen sein dürfte, beweisen die zwölf Songs, die sich zwischen melancholischer Leichtigkeit von Singer-Songwriterpop und Indierock bewegen, oft mit dem speziellen twangigen Sound von Stadlobers metallbesetzter Gitarre, einem Nachbau eines seltenen 60er-Jahre-Instruments. Vom verträumten »Bellevue« über das traurige »Sie zu ihm« mit der Feststellung, »zärtlich bist du nicht« und der perfekt dazu passenden musikalischen Anmutung von »Walk on the Wild Side« bis zu »’S ist Krieg«. Den Refrain möchte man wie bei einem alten Punkgassenhauer spontan mitgrölen, inklusive Erschrecken, wie schnell so was gehen kann.
Mit und im Wiener Studio von Wolfgang Lehmann spielte Stadlober »alle Instrumente, die nötig waren und aus denen wir die Geräusche holen konnten, die wir in den Texten gehört haben«, Astrid Noventa unterstützte mit Tasten und Gesang, Matthias Frey mit Geige, dazu Stadlobers Kinder, »die das gegeigt und gesungen haben, was sie bei der Entstehung der Lieder bei uns daheim sich ausgedacht haben«. Die stehen auch schon mal beim Vater mit auf der Bühne, um zum Beispiel das Leseexemplar aus dem Gitarrenkasten zu fischen und vom Zellophan zu befreien – das Unperfekte ist Stadlober wichtig. Möglichst wenig Distanz zum Publikum. Wer die Möglichkeit hat, einen der vielen Liveauftritte in Ost und West zu besuchen: Hingehen, es macht Spaß.
Der Künstler hat das letzte Wort: »Die fünf Herren, Panter, Tiger, Wrobel, Hauser und Tucholsky, die mit uns im Waggon saßen oder eigentlich noch immer sitzen, nicken bestätigend: Ja, so ist es wohl, die Herrschaft grinst immer gleich durch die Jahrhunderte auf uns und unsere kleinen Bemühungen herunter. Aber, schlagen sie vor, wir könnten zurücklächeln. Schief, und doch mit Hoffnung. Weil wir um die Ausweglosigkeit wissen.«