Für die Wiener Stadtzeitung „Augustin“ im Gespräch mit dem österreichischen Musiker Paul Plut
Zwei Hände voll Erde auf großem Trommelfell
Text: Eileen Heerdegen
Der Musiker Paul Plut ist Preisträger des Hubert von Goisern Kulturpreises 2024, spielt bei den Wiener Bands Viech und Marta, und überzeugt mit mittlerweile drei Soloalben mit dunkel-bewegenden Texten und Tönen von Teufelsgeige und verknüpften Rosenkränzen.
Mein erster Museumsbesuch war ein Desaster. Nur mit Mühe gelang es, mich aus der hintersten Ecke der Gemäldegalerie wieder ins Freie zu bewegen. Salome – der blutige Kopf des Johannes auf einem Teller – das Bild hatte mich zu Tode erschreckt. 30 Jahre später: Die Musik im Nebenzimmer beunruhigt mich. Immer stärker. Sie macht mir Angst. Ich halte es nicht aus, was ist das? Stop! Es war „Salome“ von Richard Strauß.
„Nur Wossa is grunna, hobn’s gsogt, nur eiskoits Wossa is grunna, hobn’s gsogt“. Die Entstehung der Welt. Trommel, eine sehr besondere Stimme – ich kann die eiskalten Fluten sehen, riechen, hören. „Koa Mensch, koa Viech, koa Vogel, koa Fisch, koa Sunn, koa Mond, koa Erdn, koa Liacht, es war dunki und stü.“ Meine erste Begegnung mit Paul Plut, November 2022 im Werk X, und wieder diese magische Berührung. Doch diesmal positiv, Dankbarkeit für inneres Beben, fürs Erleben, dafür, auf der Welt zu sein, diese „zynische, vafluachte, zum Sterben schene Wöt / Wo i abstamm, abstumpft, vergiss, mi arrangier, verlieb“.
„I hob mi verlaufen / Im dunkin, finstan Woid“, singt Paul Plut, der sich mit 18 das Leben nehmen wollte. Er will es nicht verleugnen, der Kurzschlusshandlung aber auch nicht zu viel Raum geben.
Ein ausnahmsweise abgekühlter Wiener Sommervormittag, ein verregneter Gastgarten, der Musiker ist noch ein wenig reserviert. Wieviel möchte man preisgeben? Unverfänglich Biografisches: 1988 geboren, im steirischen Ramsau bei Mutter und Großmutter aufgewachsen. Mit traditioneller Volksmusik? „Naja… am meisten spuken mir die Wanderlieder der Oma im Kopf herum. So ein Volkslied hilft dem Kind, die nächste Kurve zu kriegen“. Schöne Erinnerungen, Paul lacht. Die eigene Musik fand er mit einem alten E-Bass im Keller des Vaters in Graz. „Den habe ich auch jetzt noch im Studio. Dazu gab es Noten, Tabulaturen von Pink Floyd, „wish you were here“, „shine on you crazy diamond“, das hat mir irgendwie taugt.“ Nach dem Zivildienst Studium in Graz, dann Wien, 2011 Gründung der Indie-Deutschpop-Band „Viech“, 2013 folgte die Blues-Punk-Band „Marta“ („We write lovesongs for losers and sing shanties for seasick sailors“).
Mittlerweile kann man Paul Plut auf der Bühne mit Bass, Telecaster, Akustikgitarre, am Klavier und Akkordeon erleben – und an der eindrucksvollen Teufelsgeige. Ein mannshoher Stab, bestückt mit Haushaltsgegenständen, Masken, krachmachenden Schellen und Rasseln, so ähnlich seit dem 17. Jahrhundert im Einsatz gegen das Böse, gegen die Angst.
Für sein aktuelles Album „Herbarium“ (als handgebundenes Buch, Musikassette (!) und Download-Code erhältlich), hat der im besten Sinne experimentierfreudige Künstler zwei Jahre lang Ideen, Pflanzen, Gefühle und Erfahrungen gesammelt, neue Töne und Musikformen erschaffen. Laute, die an vorsichtiges Jodeln erinnern, Worte von Abschied und Anfang, vom Frühling, vom Leben – „Luft“, 11 Minuten 28 Sekunden, über weite Strecken ein Instrumental, zeigt auf der erweiterten Partitur Angaben wie: „Elf Rosenkränze verknüpfen, zwei Hände voll Erde auf großem Trommelfell auf- und abrieseln lassen“ und spielt mit Wiederholungen per Diktaphon und Telefonmikro (informativ auf paulplut.com dokumentiert).
Paul lebt mit zwei Kindern in Favoriten, aber Ramsau, das Bergdorf auf dem Hochplateau in der Obersteiermark, nennt er nach wie vor „zuhause“. „Sehr schöne Landschaft, das Riesenhaus, der Gang bei der Oma ist gefühlt so groß wie unsre ganze Wohnung in Wien. Nur hier kann ich so viel lernen, schon wegen der Bücherei möchte ich in Wien sein. Aber diese Berge, die sich direkt vor dir auftürmen, das macht halt was mit einem. Darüber zu reflektieren, was das mit einem macht, war erst möglich, nachdem ich ausgezogen bin. Immer wieder zurückschauen auf Landschaft und Menschen, das hat mich dann nimmer losgelassen. 2017 habe ich die ersten Lieder um diese Heimat herum geschrieben, in dem Dialekt, mit dem ich aufgewachsen bin.“
Mutig gegen die Absage („viel zu nischig“) einiger Wiener Labelchefs produziert, 2017 „Lieder vom Tanzen und Sterben“, das erste Soloalbum, mit hervorragenden Kritiken belohnt. Schwer, düster, voll schmerzhaftem Sarkasmus. Mit tiefer Stimme, kräftig und doch brüchig, fährt der Song „Klatsch“, der Text, die sparsame Instrumentierung, der Herzschlag-Rhythmus zielgenau in den Hörer hinein: „Wir hobn koa Ongst / … / Wir werdn so laut klatschn / Das koana heat / Wonn d’Wöt mit am Tuscher untageht“, dann ein melodischer Refrain, wie ein böses Kinderlied: „Wenns finsta wird (Klatsch in deine Händ) / Wenn d’Sunn vaschwindt (Klatsch…) / Wennst Trommin heast (Klatsch…)“. Großartig. Ich kenne nichts Vergleichbares.
Seither kann der ehemalige Musiklehrer einer Floridsdorfer Volksschule „Sachen, die mich wirklich interessieren“ machen. Schreiben fürs Solo-Projekt, für Theater (Burg, Kosmos Theater) und Film. Live-Auftritte und weiterhin Musik mit Viech und Marta, er hat Lust auf diese Menschen und die andere Energie.
Der Proberaum liegt unter einer Tischlerei. „Wir ergänzen uns da sehr gut, was so Geräusche angeht.“ – „Kreischende Sägen?“ – „Kreischende Sägen und scheppernde Ketten.“ Er lacht, auch als ich frage, ob das Zuhause ein Bauernhof war. „Eine Schlosserei, kreischende Sägen.“ Paul Plut, ein melancholischer, aber sehr humorvoller Mensch. Bestes Beispiel ist der Titelsong des zweiten Albums, „Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse“: „Beim Kindergarten is ois stü, im Schwimmbad gibt’s koane Pommes mehr, in da Raika wohnt da Fuchs, die Gletschergondel laa, die Aufbahrungshalle laa, in da Kuchi wochst der Klee.“ Das aktuelle „Herbarium“ hat sogar ein grausam-fröhliches Kinderlied von Christine Nöstlinger in der Sammlung.
Er würde gern politisch expliziter werden. Bisher sind es eher Andeutungen („Kinder vom Meer“), er hat Angst, nicht die richtigen Töne zu treffen. „Überhaupt hadere ich oft, man schreibt es, denkt es, spürt es, aber es dann wirklich zu singen… ist das nicht eine Stufe zu viel? Aber dann fühlt es sich richtig an und ich lasse es dabei.“
Mir sind diese Lieder mit ihrem fremden Dialekt besonders nah. Ein Lieblingslied „Hinterm Haus“: „Donn steht ma’s Wossa in die Augn / vor lauter Glück / I bin ehrlich gerührt / dass i no am Leben bin / dass i mein Buam aufhebn derf / so a Glück / hinterm Haus / bis zu die Stern / so a Glück“.
Bei der Erwähnung muss ich schlucken. „Voll lieb von dir“, sagt Paul und wir lachen beide, während mir die Tränen herunterlaufen. Und zum Schluss machen wir eins der fröhlichsten Selfies, die es an diesem Tag in Wien gegeben hat.