Melancholische Krieger: New Model Armys 16. Album »Unbroken«
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Der letzte Sommer danach
Melancholische Krieger: New Model Armys 16. Album »Unbroken«
Von Eileen Heerdegen
Ich habe »The Battle of Edgehill« live erlebt. Oder fast, denn die Schlacht von 1642 ist eine von vielen aus dem englischen Bürgerkrieg, die durch geschichts- und vielleicht auch kriegsbegeisterte Briten detailgetreu auf den romantischen hügeligen Wiesen der Originalschauplätze nachgestellt werden. Inklusive Pfarrer, der Sterbende segnet.
Britische Kids wachsen mit diesen Spektakeln auf, da liegt es vielleicht nahe, sich, wie das 1980 gegründete Trio um Frontmann, Sänger und Gitarrist Justin Sullivan, mit seinem Protest gegen Monarchie und Thatcher-Regierung zum Kämpfer der »New Model Army« zu erklären, der am Ende gegen den König siegreichen Truppen des Oliver Cromwell.
Auch bei rebellischen Musikern bleiben Verluste nicht aus, allein Justin Sullivan hält seit gut 43 Jahren die Stellung, zum aktuellen Quartett komplettiert durch Ceri Monger (Bass), Dean White (Keyboard, Gitarre) und den Drummer Michael Dean.
New Model Army haben es geschafft, durch die Jahre hindurch musikalisch schwer einsortierbar zu bleiben – ein bisschen Folk, viel Rock plus Punkattitude trifft am ehesten auch den Stil von »Unbroken«, dem mittlerweile 16. Studioalbum der Band.
Sämtliche Cover gestaltet Joolz Denby, Künstlerin und seit vier Jahrzehnten Sullivans Lebensgefährtin, auch das eine schöne Geschichte über Kraft und Liebe. Das sich aufbäumende schwarze Pferd auf dem neuen Album »Unbroken« mag den beständigen Willen nach Freiheit und Widerstand ausdrücken, in der düsteren Grundstimmung der Songs erinnert es aber auch an den schwarzen Hengst der apokalyptischen Reiter, der für Inflation und Hungersnot steht.
So klingen auch die Zeilen des Openers, »First Summer After«, der mit einem außergewöhnlich dominanten Gitarrenriff beginnt, das sich in verspielte Akustikbegleitung und endlich in Bass, Schlagzeug und Chor auflöst, wie die Beschreibung einer Zwischenkriegszeit: »There were rumours on the highways, there were shadows of the war / It was the first summer after and the last summer before.« In der Tat handelt der eindrucksvolle Song von einer Reise durch Osteuropa, gleich nach den Lockdowns und vor dem Ukraine-Krieg, wie Justin Sullivan in einem Interview mit rockantenne.at erklärt. Da erfährt man auch, warum das Album bei aller Dunkelheit so frisch klingt: »Eigentlich ist es nur eine Sammlung von Demos.« Tchad Blake, mehrfach Grammy-ausgezeichneter Produzent und Mixer, habe sich vor allem für ihre Probeaufnahmen interessiert. Tatsächlich sei man nie mehr so genial, wie am Anfang, wenn der eigene Text erstmals gesungen wird, der Drummer einfach nur spielt, ohne Rücksicht auf die anderen. »Make a real weird noise« habe Sullivan dem Bassisten gesagt, und so sei die bassline in »First Summer After« entstanden. »The point is just to do it, that’s perfect Punk.«
Punk findet man allerdings mehr in der Überzeugung des Mannes, der optisch als Zwilling von Patti Smith durchgehen könnte, musikalisch sind wir eher im (melodischen) Rock. Vieles erinnert in allerbester Weise an vergangene Zeiten. Die 70er sind vertreten, »Coming or Going« feiert den 80er-New-Wave und »Do You Really Want to Go There« passt zu den Anfängen des neuen Jahrtausends, als Snow Patrol sich noch nicht permanent selbst kopiert haben.
Bei »Cold Wind« bin ich sicher, dass »Jesus Christ Superstar« hier Pate gestanden hat – »I need a cold wind here on my face, I’m burning up inside«, Judas, der mit seinem Verrat kämpft? Jesus, kurz vor dem Ende? Sehr kraftvoll und gleichzeitig hoffnungslos. Eindeutig biblisch wird’s bei »Idumea« aus der Sammlung »Sacred Harp«, einer amerikanischen Tradition des 19. Jahrhunderts mit Fokus auf möglichst lautes, kräftiges Bespielen der »Heiligen Harfe«, der eigenen Stimme. Also sehr frühes Punk-Metal-Rock-Gedankengut im White-Gospel-Gewand, von New Model Army in eine wunderbar traurige Hymne mit archaischen Trommeln und Chorgesang adaptiert. »And am I born to die? / To lay this body down! / And must my trembling spirit fly /Into a world unknown?«
Justin Sullivan selbst sieht im Album »anger but no despair«, also enden wir lieber mit dem rockigen »Language« und der Bitte: »Give me a story where the good people win at the end.«