A bisserl Bernhard, ganz viel Castorf – »Heldenplatz« am Wiener Burgtheater
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Helden ohne Platz (Die hüpfende Mumie)
A bisserl Bernhard, ganz viel Castorf – »Heldenplatz« am Wiener Burgtheater
Von Eileen Heerdegen
Direkt unter mir hält Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg Hof, artig begrüßt von Intendant Martin Kušej. »Mir san die Hautevolee, mir haum den Überschmäh« – der 1981er Rainhard Fendrich passt zum »Heldenplatz«-Premierenpublikum 2024 sehr viel besser als die kochende Volksseele aus dem Uraufführungsjahr 1988. Gerade noch haben sich Geimpfte und Ungeimpfte gegenseitig den Tod gewünscht, heute – am 17. Februar – wird im großen Saal fröhlich gehustet, als gäbe es kein Morgen.
»Glücklich ist, wer vergisst«, aber das ist Johann Strauss, wir wollen Thomas Bernhard! Ätsch, bekommt ihr aber nicht, ruft ein Schauspieler von der Bühne. Nicht ganz so direkt, er macht »Buh«, immer wieder »Buh«, laut, leise, auf Dauer lästig. Zum Glück naht schnell ein gefährlicher Gewittersturm namens Birgit, mit paillettenbesetzter Till-Eulenspiegel-Haube (Kostüme Adriana Braga Peretzki) auf gefährlich hohen Stilettos. Nichts erinnert an den Peter Pan mit den sanft-traurigen Struwwelpeter-Liedern oder an die trotzig-verschlossene Polizistin Andrea aus Josef Haders neuem Film – Birgit Minichmayr dürfte die wohl wandlungsfähigste Schauspielerin zur Zeit im deutschsprachigen Raum sein, an diesem Abend kommt sie über uns wie eine unaufhaltsame Naturgewalt.
Sie brüllt, sie murmelt, sie nuschelt, schmollt und verzweifelt. Später wird sie als komplett eingewickelte Mumie auf die Bühne und die Metrostufen hinunterhüpfen, akrobatisch und überaus komisch. Und sie singt: »Es brent, briderlekh, es brent!«, ein Trauerlied aus 1938 von Mordechai Gebirtig, 1942 im Krakauer Ghetto ermordet. Als traumatisierte Ehefrau, die von den »Sieg-Heil«-Rufen am Wiener Heldenplatz verfolgt und eingeholt wird, zeigt sie hier Weitsicht. Auch wenn (oder gerade weil) sich die extreme Rechte plötzlich gegen Antisemitismus positioniert, wenn »Der Tag, an dem Marine Le Pen für Juden wählbar wurde« gar vom Spiegel gefeiert wird, war die Gefahr noch nie so groß, dass Faschismus und Krieg wieder in Europa wüten. Vielleicht wird es anders, vielleicht wird es unvorstellbar.
Doch Minichmayr ist nicht nur Ehefrau. Im Stück nach Bernhards Vorlage über die 1938 emigrierte und ’68 zurückgekehrte jüdische Professorenfamilie Schubert, spielen sie und Marcel Heuperman, Inge Maux, Franz Pätzold, Branko Samarovski und Marie-Luise Stockinger mal die und mal jene Person: Ehefrau, Bruder, Töchter, Sohn und Haushälterin des Mannes, dessen Beerdigung gerade stattgefunden hat, nachdem er den Tod einer erneuten Emigration (wegen der Erkrankung seiner Frau) vorgezogen hat.
Bereits zu Beginn wird Regisseur Frank Castorf mit den richtungsweisenden Worten zitiert, dass Kunst niemals Stillstand, sondern Weiterentwicklung sei, und schon auf den ersten Blick wird klar, »Heldenplatz« ist heute nicht. Die Bühne (Aleksandar Denić) zeigt Brooklyn mit Leuchtreklame, Al Capone und Marilyn Monroes Beinen. Ein sehr langer Monolog (Szenenapplaus für Franz Pätzold) aus »Nur die Toten kennen Brooklyn« von Thomas Wolfe, ein Text um Krieg, Flucht und Exil, setzt Zeichen.
Den schwergewichtigen Worten des Amerikaners zu folgen, wird im Laufe des viel zu langen, über fünf Stunden dauernden Abends immer mühsamer. Die Tagebucheintragungen des jungen J. F. Kennedy, der das faschistische Europa sehr naiv bereist und missversteht, sind irgendwann einfach zu viel. Statt Bernhards komödiantischer Wut nerven am Schluss Albernheiten.
Aber es wäre ungerecht, dem Regisseur Selbstverliebtheit vorzuwerfen, denn ihm geht es um politische Aussagen, um Warnungen. Die verpackt er in große Kunst, in bunte, aufregende Bilder mit U-Bahn-Station in der Unterbühne, mit Puppen, die den Hitlergruß zeigen, oder wie Leichenberge übereinander gestapelt sind, Gasaustritt im Wohnzimmer, Filmsequenzen und einem außerordentlichen Ensemble.
Ich hätte sehr gern Thomas Bernhards »Heldenplatz« gesehen, bin aber von diesem aufregenden Abend überwältigt, auch wenn er eine eindeutige Respektlosigkeit dem Autor gegenüber darstellt. Doch der steht, oder besser liegt, längst über den Dingen, oben im beschaulichen Grinzing, auf halbem Weg zum Himmel, und denkt wahrscheinlich gar nicht daran, zu rotieren.
Vielleicht ist es ohnehin an der Zeit, nur noch Karl Kraus’ »Die letzten Tage der Menschheit« in Dauerschleife zu zeigen, denn:
»Es brent, briderlekh, es brent! – Es brennt, Brüder, es brennt! Ach, es kann – Gott bewahre – der Moment kommen: Dass unsere Stadt mit uns zusammen wird zu Asche werden durch die Flammen, übrig bleiben – wie nach einer Schlacht – werden nur kahle schwarze Mauern! Und ihr steht und schaut umher, mit verschränkten Armen, und ihr steht und schaut umher, unser Städtchen brennt!«