Der Rest ist hübsch

Neues vom Britpop: Blurs Album »The Ballad of Darren«

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Der Rest ist hübsch
Neues vom Britpop: Blurs Album »The Ballad of Darren«
Von Eileen Heerdegen

»You’re my wonderwall.« Ach, nein, das waren die anderen. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Brite – nach Rocker gegen Mods und Beatles vs. Stones ließ die englische Presse in den 90ern gleich über den Tittenfotos immer genug Platz, um über die Britpoprivalen zu schludern und die alles entscheidende Gewissensfrage zu stellen: ­Oasis oder Blur?

Die Zeit hat entschieden. 35 Jahre nach Gründung der Band sind Blur nach Ups and Downs aus Ruinen auferstanden und aktuell mit brandneuem Album am Start. Im Gegensatz zu den angeblichen Working Class Heroes von Oasis, deren Leading Brothers Liam und Noel Gallagher wohl doch zu wenig Sinn für proletarische Solidarität hatten und es lieber mit den Traditionen des englischen Adels hielten, wo man, zumindest in früheren Jahrhunderten, auch gern mal Neffen, Schwestern und Ehefrauen einen Kopf kürzer machte. Zum Glück blieb es beim Oasis-Aus 2009 bei Gift und Galle.

Auch die »Art School Wankers« (Kunstuniwichser), so Oasis über Blur, hatten ihre Probleme. 2002 verließ Leadgitarrist und Gründungsmitglied Graham Coxon die Gruppe. Künstlerische Differenzen oder Alkohol, man weiß es nicht so genau. Doch selbst eine Auflösung (2004–2008) überstand die Band, vielleicht, weil man sich, wie in jeder guten Ehe, gegenseitig viele Freiheiten lässt. Bassist Alex James ist Farmer und Käseproduzent, Drummer Dave Rowntree engagiert sich für die Labour Party und ist, wie Graham Coxon, auch solo unterwegs. Frontmann und Sänger Damon Albarn ist Hansdampf in allen Gassen, schreibt Filmmusik und Opern, ist Kopf verschiedener Bands und hat allein mit den virtuellen Gorillaz bereits acht Alben veröffentlicht.

Da wundert es nicht so sehr, dass mit »The Ballad of Darren« nach »The Magic Whip« aus 2015 erst das zweite Album seit Blurs Reunion auf dem Tisch, dem Plattenteller oder in der Cloud liegt. Der Erfolg scheint gewiss, die Tickets für zwei Konzerte Anfang Juli im Londoner ­Wembley-Stadion mit je 90.000 Besuchern waren sofort ausverkauft. Wie man weiß, tanzen Girls lieber zu Franz Ferdinand, es überrascht nicht, dass viele ältere weiße Männer das Publikum stellten.

Das allein macht noch kein Alterswerk, auch wenn hier und da behauptet, das Cover mit dem einsamen Schwimmer im schottischen Gourock Outdoor Pool vor rauer See und gewitterschwarzen Bergen jedenfalls erzählt eher vom Durchhalten in stürmischen Phasen.

Vielleicht eine Midlife-Crisis, die wegen der vielen Projekte etwas warten musste. Schöne Balladen, melancholische Songs. Teilweise recht Brit, andere nur Pop. »The Ballad«, melodiös und traurig, ein gelungener Einstieg, der nach alten Zeiten klingt. Etwas überarrangiert, da tut es gut, dass einem gleich danach die Gewittergitarren des »St. James Square« jedes Süßliche wieder aus den Ohren kratzen. Das waren die wilden Blur, das klingt nach frühem David Bowie, im Hintergrund Lou Reed, waiting for his man. Highlight!

Auch »Barbaric« wird seinen Weg machen, eine interessante Kombi aus traurigem Trennungstext (»We have lost the feeling that we thought we’d never lose / Now where are we going?«) mit einer eher fröhlichen, leider etwas zu gefälligen Melodie.

Der Rest ist hübsch, auf hohem Niveau, aber leider nicht mehr. Nach ein-, zweimaligem Hören gibt es kaum ein Stück, das nachhaltig im Gedächtnis bleibt oder gar beeindruckt. Die angesagte Form der singenden Säge, das Theremin, ist ebenso im Einsatz wie Bläser und Streicher – auf Dauer nervt das.

»The Heights« schließlich bietet mit einem überraschend kratzigen, abrupten Schluss und einem ergreifenden Text des Goethe-Liebhabers Damon Albarn dann doch noch ein todtrauriges Kleinod: »Seeing through the coma in our lives / Something so bright out there, you can’t even see it / Are we running out of time? / Something so momentary that you can’t even feel it.« Und passend zum Albumcover klingen die Londoner »Bobos« wie eins der alten schottischen Volkslieder: »I’ll see you in the heights one day / I’ll get there too / I’ll be standing in the front row / Next to you.«