Nimm mi mit, hintan Mond

Melancholische »Möadanumman« von Ernst Molden

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Nimm mi mit, hintan Mond
Melancholische »Möadanumman« von Ernst Molden
Von Eileen Heerdegen

»Das österreichische Leben hat eine Entschädigung: die schöne Leich.« Karl Kraus irrte selten, doch hier muss ich widersprechen, denn auch in Deutschland sind Trauernde einer Horde von emotionslosen Vielfraßen ausgeliefert, die auf Teufel komm raus feiern, dass es wieder einen andern erwischt hat.

Aber kein Entkommen: »Es Feichte wird di überall kriagn / Hüft ka Verstecken, hüft ka Liagn.« Ein wandernder Ton, ein perfektes E-Gitarren-Bending illustriert den Weg des Feuchten, der Maden und Kleinstlebewesen, und liegt wie »Des Feichte gräult dir nach und gibt ka Ruah« unüberhörbar über dem Akustikrhythmus und Ernst Moldens gedämpfter Stimme.

Der Ernstl, wie sein langjähriger Wegbegleiter Willi Resetarits ihn genannt hat, gehört zur Generation der Wiener Musiker, die das Wienerlied konsequent entstaubt und den Austropop geerdet haben. Dieser Mix aus Traditional, Blues und Folk ist sehr erfolgreich, generiert aber keine 15-Wochen-auf-Platz-eins-Mördernummern: Der lautmalerische Titel »Möadanumman« des gerade erschienenen Albums weist auf »Klenk und Reiter – Der Falter-Podcast aus der Gerichtsmedizin«, auf deren »Möada« und auf Moldens Soundtrack zum Feature und den dunklen Seiten in uns und der Welt.

Zwölf melancholische Lieder mit skurrilen bis todtraurigen Texten, in denen sich nur zweimal (»Belvedere«, »Bastei«) tatsächlich Mörder tummeln, das Leben ist auch so schwer genug. Ernst Molden ist im Dreieck »Nussduaf, Grinzing, Häulingschdod« (Nussdorf, Grinzing, Heiligenstadt) aufgewachsen, den traditionell bäuerlichen Weinbau- und Heurigengebieten des nicht nur noblen 19. Wiener Bezirks. Gerade hier hat man Sigmund Freuds Erkenntnis, »wenn du dich auf das Leben einstellen willst, dann richte dich auf den Tod ein«, schon immer beherzigt. In den Buschenschanken wurde der Angst und dem Sensenmann fröhlich angeschickert die Nase gemacht: »Es wird a Wein sein, und mir wer’n nimmer sein.«

Die, die schon nimmer sind, warten auf dem Tisch des Rechtsmediziners: »Da hamma die Leich, woas oam oda reich, woas guad oda schlecht, ma waas net so recht / Ist hoat oda weich, wos hängt ois no dran, des schau ma se an« (»Leich«). Oder sie liegen einfach auf der Straße, und das große Problem ist, dass man »So an Dodn« nicht einmal etwas fragen kann. Schon gar nicht, ob er von Fiakern getragen werden will, wie es in einem der berühmtesten Wienerlieder, »Allweil fidel« (1872) gewünscht wird. »Scho wieda ana hi«, that’s life. »Scho wieda ane furt, auf der Strossn, auf der nossn, hat das Leben sie verlossn, a paar Blumen liagn no durt.«

Ernst Molden ist ein hervorragender Gitarrist, die stillen Songs leben von der Konzentration auf Kunst und Handwerk. Zurückhaltend instrumentiert, in der Hauptsache akustisch, mit Unterstützung durch eine »Stromgitarr’«, wie der Ostbahn-Kurti gesagt hätte. Die sparsamst eingesetzte Mundharmonika kommt beim Opener »Leich« sicher nicht zufällig westernmäßig daher und weckt Assoziationen an das berühmte Lied vom Tod, klingt aber bei »Da Viate (Vierte)« wie ein anderes Instrument. »Überall auf der Welt rinnt dauernd a Bluat«: Traurige Töne erzählen von einer Welt, in der überall die Schwachen verlieren. »Der Erste, der schiaßt / Der Zweite, der sticht / Der Dritte haut hin / Der Vierte zerbricht«.

Und ganz zum Schluss kommt sie dann doch, diese eine echte Mördernummer fürs Herz, eine zarte romantische Zuflucht jenseits der Seziertische – »Hintan Mond«: »Nimm mi mit, hintan Mond / Wo’s gaunz stad is und stü (still) / Wo da kana wos tuat / Wo da Neid nimma güt (gilt) / Wo des Knedl (Geld) ned zöhlt / Wo ma dann, wann ma stürzt, auf a Seidenpolsterl follt / Wo es is wie immer, nur ohne a Gewolt.«