Saufen, Kotzen, Erniedrigung

Ödön von Horvaths »Kasimir und Karoline« im Wiener Burgtheater – »Isch bin eene Vampir« – das klingt nicht wirklich nach »einer Ballade von stiller Trauer« (Autor Ödön von Horvath über »Kasimir und Karoline«), doch der fiese Karnevalsschlager aus »Kehraus«, Gerhard Polts filmischer Abrechnung mit einer aus dem Ruder gelaufenen Fröhlichkeitsveranstaltung, hätte die aktuelle Inszenierung des Stückes in der Regie von Mateja Koleznik am Wiener Burgtheater perfekt ergänzt.

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Saufen, Kotzen, Erniedrigung
Ödön von Horvaths »Kasimir und Karoline« im Wiener Burgtheater
Von Eileen Heerdegen

»Isch bin eene Vampir« – das klingt nicht wirklich nach »einer Ballade von stiller Trauer« (Autor Ödön von Horvath über »Kasimir und Karoline«), doch der fiese Karnevalsschlager aus »Kehraus«, Gerhard Polts filmischer Abrechnung mit einer aus dem Ruder gelaufenen Fröhlichkeitsveranstaltung, hätte die aktuelle Inszenierung des Stückes in der Regie von Mateja Koleznik am Wiener Burgtheater perfekt ergänzt.

Aggression und die latente Gewalttätigkeit einer Volksgaudi (hier das Münchner Oktoberfest) sind von Beginn an präsent. Der sich sehr langsam öffnende Bühnenvorhang offenbart Stück für Stück unerträgliche Trostlosigkeit, die sich vor allem in der unteren Etage der horizontal zweigeteilten Bühne von Raimund Orfeo Voigt, einem düster gekachelten Wasch- und Toilettenraum, deutlich ankündigt.

Während dort eine trans* Prostituierte lustlos ihren Geschäften nachgeht, wandelt sich die obere Etage langsam von einer Notaufnahme mit Pflegern, die laut über den (nicht vorhandenen) Wert von Menschenleben nachdenken, zu angedeuteter Volksfeststimmung.

Kasimir, gerade gekündigt, reagiert Wut und Trauer in larmoyanten Angriffen auf seine Braut Karoline ab. Die möchte sich einfach etwas vergnügen und versucht trotzdem, die Aufgabe der Frau zu beschwören, gerade in schweren Zeiten zum Mann zu stehen. Doch keine Chance – Kasimir bockt, Karoline zickt, ein paar Missverständnisse, der schlechte Einfluss von Kasimirs Freund, dem Kleinganoven Merkel Franz, und plötzlich ist es aus. Karoline (»Menschen ohne Gefühle haben es viel leichter im Leben«) versucht, sich mit zwei älteren Herren zu vergnügen, hofft, hier vielleicht sogar einen solventen Ehemann zu finden, während Kasimir verschiedene Anläufe, sie zurückzugewinnen, immer wieder aufs neue vergeigt. In dieser unsympathischen Mischung aus Macho, Loser und der Sehnsucht nach Liebe, die schon mal in einem Femizid endet, kann Felix Rech als Kasimir durchaus überzeugen, während die meisten Figuren in dieser Inszenierung leider recht eindimensional bleiben.

Hauptdarstellerin Marie-Luise Stockinger ist, wie die Aufführung selbst, gut, aber oft zu nervös, laut und schrill, ohne zu berühren. Lediglich zwei kleine Sequenzen lassen Gefühle aufkommen, einmal Mavie Hörbiger als Erna, die eine Vergewaltigung durch ihren Freund Merkel Franz in einer Mischung aus verzweifelter Gegenwehr und dem Wissen um Aussichtslosigkeit hinnimmt, zum anderen Olivier Blau als Arie singende Prostituierte im Toilettenvorraum.

Am Ende sind alle stockbesoffen oder schon wieder ernüchtert. Eine Braut und ihre Entourage von einem immer wieder durchs Bild tobenden Junggesellinnenabschied haben die blutigen Knie im besten Fall von betrunkenen Stürzen, möglicherweise war auch die Horde Fußballfans nicht unbeteiligt. Karoline kübelt die Klowände mit ihrem Elend voll und lallt sich auf dem Fliesenboden dem Ende entgegen.

Saufen, Kotzen, Erniedrigung statt »Glaube, Liebe, Hoffnung«? Neben dem gleichnamigen Stück (1933) des deutsch schreibenden Ungarn Horvath dreht sich auch bei »Geschichten aus dem Wienerwald« (1931) und eben »Kasimir und Karoline« (1932) alles um die vielzitierten göttlichen Tugenden und den ungeschlagenen Renner bei Hochzeiten und Beerdigungen, den 1. Korintherbrief mit dem »Hohen Lied der Liebe«: »Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.«

Doch Ödön von Horvath war kein Romantiker, seine Trauer war nicht, wie von ihm selbst behauptet, still, sie war deutlich und schonungslos. Ein Zyniker, der diesem Drama das Motto, »Und die Liebe höret nimmer auf« voranstellte. Ein früher Feminist (in der Theorie, in der Praxis eher nicht), der klar erkannte, dass die Klassengesellschaft Opfer produziert, und es vor allem die Frauen sind, die die Differenz zwischen Wünschen und Wirklichkeit bezahlen.

Karoline: »… und das Leben geht weiter, als wär’ man nie dabeigewesen.«