Wenn Buddys Witze dreschen: »Intervention!« von Leander Haußmann und Sven Regener am Hamburger Thalia-Theater
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Bei Sven auf der Couch
Wenn Buddys Witze dreschen: »Intervention!« von Leander Haußmann und Sven Regener am Hamburger Thalia-Theater
Von Eileen Heerdegen
Am Ende schlägt die Langeweile in blanke Angst um. »Wie heißt noch mal dieses lateinische Wort für Eingreifen?« Die Trümmer von Familie und Party sind beseitigt, und wie beim täglich grüßenden Murmeltier geht alles zurück auf Anfang. »Intervention« wird Jens Harzer gleich wieder sagen und »steht doch da« und dabei auf die bunte Schriftgirlande über seinem Sofa zeigen. Nur dass diesmal keiner mehr lacht. Bitte, bitte, lass es zu Ende sein.
Das ist natürlich durchaus ungerecht und vor allem der Erschöpfung geschuldet – drei Stunden und zehn Minuten sind lang. Andererseits habe ich am Hamburger Thalia-Theater schon einen achtstündigen Faust-Marathon gesehen, nach dem die Zuschauer noch fit genug für Standing Ovations waren.
Die Geschichte um eine als Grünkohlessen getarnte familiäre Einmischung in das Lotterleben eines erwachsenen Sorgensohnes hätte nach zwei Stunden Aufführungsdauer möglicherweise ein glücklich belustigtes Publikum zurückgelassen, denn an guten Einfällen mangelt es der Komödie »Intervention!« von Leander Haußmann und Sven Regener nicht. »Ich mag Grünkohl, weil ich aus Oldenburg komme« – »Oldenburg, ist das nicht dieser Pop-Art-Künstler?« Mit einer Portion Gutwilligkeit könnte man sagen, dass sich intellektuelle Spitzen, derbe Späße und Clowneskes die Waage halten. Die Figuren sind gut gezeichnet und allesamt begeisternd gespielt.
Jens Harzer ist ohnehin eine eigene Liga. Da macht es nichts, dass sein Familienvater Markus wenig greifbar bleibt. Ehefrau Katja (Gabriela Maria Schmeide) ist nur auf den allerersten Blick eine sorgende Mutter. Im englischen Hausfrauenkleid steckt eine Ehezerstörerin mit wenig Herz für den Patchworksohn und noch weniger für die leibliche Tochter Gwendolin. Die wird schon mal zum eigenen Vergnügen offen und öffentlich gedemütigt, bis der Teenager (Lisa-Maria Sommerfeld, wunderbar trampelig und schlecht gelaunt) ausflippt. Da merkt man, dass Element-of-Crime-Frontmann Sven Regener das Script mitverfasst hat.
Der Texter allerschönster Liebeslieder (»Und auf meinem Nachttisch steht ein Schokoladenhase / Traurig und allein / Ich weiß ihm nicht zu helfen / Und stopf ihn in mich hinein / Weil du nicht da bist (…)«) kennt die Verzweiflung, aber er weiß auch, wie man mit Sarkasmus überleben und selbst Familie aushalten kann. Sogar Markus’ Schwester Gudrun (»keiner mag sie, alle haben Angst vor ihr«) und ihren jammerweichen Ehemann Helge oder Markus’ Exfrau Silvie, deren größtes Problem offenbar ist, dass sie wegen einer Älteren verlassen wurde. Mit ihr wird’s dann im Laufe des Abends sprachlich derber (»altes Fickfleisch«). Die Sache nimmt Fahrt auf, nur wird die Richtung unklarer denn je.
Ist der Bote mit dem Lieferrucksack der zu therapierende Jannis? Ist Markus dement? Warum wird eigentlich der Grünkohl nie gegessen? Das will man irgendwann alles gar nicht mehr wissen, und selbst eine absurde Splatterorgie für Arme langweilt.
Wer kennt sie nicht, diese »best Buddies«, die sich so an den eigenen Ideen berauschen können, bis schließlich alles wahnsinnig lustig ist. »Den Schreibprozess muss man sich so vorstellen: Ein Jahr jeden Mittwoch zehn bis 14 Uhr entweder bei Sven oder bei mir. Sven stramm an der Tastatur, ich hinter ihm auf einer Couch fläzend«, beschreibt Regisseur Leander Haußmann im Programmheft die gemeinsame Arbeit. Wird so nicht stimmen, aber gerade das Kokettieren mit der Wurschtigkeit könnte andeuten, warum man das Gericht mit besten Zutaten leider hat zu Tode kochen lassen.
Am Ende unverdient müder Applaus für die hervorragenden Schauspieler und verdientes, kollektives Buh für Stück und Regie.