Gegenwartsbewältigung

Familienausflug nach Auschwitz: Yasmina Rezas Tragikomödie »Serge« am Wiener Akademietheater

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Wer will da mitlachen?
Familienausflug nach Auschwitz: Yasmina Rezas Tragikomödie »Serge« am Wiener Akademietheater
Von Eileen Heerdegen

Licht aus, Musik ab. Brahms »Ungarischer Tanz Nr. 5« fidelt das Publikum in eine ausgelassene Stimmung, endet aber jäh. In einem unpersönlichen Wartezimmer sitzt einsam Michael Maertens. Einer dieser Lieblingsschauspieler, die nur den Mund aufmachen und schon giggelt das Publikum – ich bin dankbar, dass es nicht passiert. Eine Tragikomödie über eine jüdische Familie inklusive Auschwitz-Besuch ist nicht per se puppenlustig.

Aber Yasmina Reza, Französin, Jüdin mit ungarisch-iranischen Wurzeln, ist eine Meisterin des Stimmungkippens, der Balance zwischen komisch und anstrengend. Ihr traue ich das Kunststück zu, das Publikum mit Humor zu irritieren, der plötzlich und unangemeldet Grauenhaftes offenbart.

Doch Maertens als Erzähler Jean Popper wirkt von Anfang an so gebremst, dass ich meine Hoffnungen auf ein hinterhältiges Feuerwerk schnell begrabe. Im Freizeitoutfit des gehobenen Spießersegments philosophiert er im Selbstgespräch Richtung Publikum über Architektur und Dekopflanzen und kommt schließlich auf ein Busunglück mit Rentnern, speziell zur Frage, ob so etwas überhaupt tragisch sein kann, die Alten haben ihr Leben schließlich gelebt. Die Lacher haben es leider nur bis hierhin ausgehalten, jetzt prusten sie los. Der nächste Satz, in dem Jean bemerkt, dass er selbst dieser Generation angehört, ist der wirklich komische Teil der Überlegung, aber wer will dann noch mitlachen?

Auch die Geschichte mit der toten Taube ist eigentlich kein Brüller, zum Glück prustet niemand wegen der Urne der jüngst verstorbenen Mutter. Der zwischenzeitlich eingetrudelte Rest der Familie, Schwester Nana (Alexandra Henkel) und Bruder Serge (Roland Koch) mit Tochter Joséphine (Lilith Häßle) schon gar nicht, traditionell ist eine Feuerbestattung im Judentum verboten. Nun sind die Poppers allerdings überhaupt nicht traditionell. Den Tod der Angehörigen im Vernichtungslager hat man bisher erfolgreich verdrängt. Gerade darin läge erhebliches Konfliktpotential – wie nähert man sich der Ermordung der eigenen Familie, wie lebt man mit Eltern, die Opfer waren? Schon der Normalfall, »als ich klein war, musste ich noch … blablabla«, ist schwer zu ertragen, wie können Kinder einen eigenen Willen entwickeln, wenn sie vom Mitleid erstickt werden? Vielleicht erzählt der Roman hierzu mehr, denn »Serge« ist ursprünglich kein Theaterstück, die Bühnenfassung jedenfalls präsentiert eher alltägliche Geschwisterkonflikte.

»Oswietz« – »es heißt Auschwitz!« Ein seltener Moment, in dem Serge, Typ überheblicher Werbefuzzi mit Anzug, Stooges-Shirt und Bergstiefeln, eine Verletzung offenbart und seine Tochter maßregelt, die den Ort des Grauens lächerlich französisiert ausgesprochen hat. Dort angekommen – Joséphine hat diese Reise in die Vergangenheit organisiert –, verweigern sich die Männer komplett. Nana und Nichte wirken zwar durchaus betroffen, ihre Erkundungen von Gaskammern und anderen Schreckensorten wirken dennoch eher wie touristisches Pflichtprogramm.

Eine oberflächliche Leichtigkeit lässt den Zuschauer unangenehm unberührt, die Personen bleiben allesamt unsympathisch. Warum der kleine Luc und seine verspannte Mutter Marion (Lilith Häßle in einer Doppelrolle) den Kern der Geschichte aufplustern und zudecken, bleibt ebenso unverständlich wie das Auftreten von Onkel Maurice (Martin Schwab), außer, dass er für Flachwitze herhalten muss – »wenn du dich umbringen willst, warum machst du dann dreimal die Woche Physiotherapie«. Immerhin können wir deshalb die hervorragende Inge Maux als seine Freundin/Pflegerin Paulette erleben. Alle spielen an diesem Abend grandios.

Am Ende zeigt sich, der Warteraum ist ein Zimmer im Krankenhaus und das Familientreffen wohl Unterstützung für den möglicherweise todkranken Serge. Vielleicht hat die Reise in die Vergangenheit doch geholfen, die Gegenwart auszuhalten.