Fluch der Lächerlichkeit

Henrik Ibsens »Hedda Gabler« an den Hamburger Kammerspielen: »Du hast Hedda Gabler geheiratet!« Knusper, knusper, knäuschen. Tante Jule, die ihrem Neffen zu seinem großen Fang gratuliert, taucht in der Inszenierung der Hamburger Kammerspiele (Premiere 20.1.) nur schemenhaft hinter einem Gazevorhang und als Stimme auf. Künstlich verstellt, da alte Frauen offenbar krächzen, und so klingt das Ganze dann wie eine Mischung aus Märchenhexe und der Oma vom Kaschperl.

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Fluch der Lächerlichkeit
Henrik Ibsens »Hedda Gabler« an den Hamburger Kammerspielen
Von Eileen Heerdegen

»Du hast Hedda Gabler geheiratet!« Knusper, knusper, knäuschen. Tante Jule, die ihrem Neffen zu seinem großen Fang gratuliert, taucht in der Inszenierung der Hamburger Kammerspiele (Premiere 20.1.) nur schemenhaft hinter einem Gazevorhang und als Stimme auf. Künstlich verstellt, da alte Frauen offenbar krächzen, und so klingt das Ganze dann wie eine Mischung aus Märchenhexe und der Oma vom Kaschperl.

Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Na gut, das stimmt nicht immer, und so freuen wir uns, dass der Gazevorhang, hinter dem Hedda Gabler im zweiten Bild irgendwelche Turnübungen vollführt, dann doch noch verschwindet. Hedda, die begehrte Generalstochter, ausgestattet mit zwei Pistolen, aber ohne Ziel, hatte sich irgendwann »müde getanzt«. Anders kann sie es sich selbst nicht erklären, den Langweiler Jörgen Tesman geheiratet zu haben, der ihr schon auf der Hochzeitsreise zuviel wurde.

Nach »Nora oder ein Puppenheim« (1879) stellt Henrik Ibsen auch hier wieder eine Frau und ihren Ausbruch aus gesellschaftlichen Normen in den Mittelpunkt. Doch im Jahr 1890 waren es nur noch drei Jahre, bis Neuseeland als erster Staat das Frauenwahlrecht einführte. Folgerichtig ist Hedda eine Fordernde. Mehr noch, sie ist unmoralisch und böse und mag stellvertretend für die Angst der Männer vor der neuen Zeit stehen.

»Ich möchte ein einziges Mal in meinem Leben die Herrschaft haben über ein Menschenschicksal.« Da kündigt jemand einen Amoklauf an, die Frage ist nur – wen wird es treffen? Nein, Ehemann Jörgen ist so uninteressant, dass man ihn nicht einmal vernichten möchte. Richter Brack, Freund des Hauses, der sich als väterlicher (ähem, räusper) Hausfreund anbietet? Thea Elvstedt, die seit der gemeinsamen Schulzeit Angst vor ihr hat, weil Hedda gedroht hatte, ihr die wilden Locken abzubrennen?

Die hat sich mutig in die Höhle der Löwin getraut, Liebe verleiht Flügel, und sie ist krank vor Sorge um den genialen Künstler Eilert Lövborg, den sie einst vor sich selbst, seiner Trunksucht (und Hedda) gerettet und mit dem sie ein gemeinsames Kind in Form eines Buchmanuskriptes hat. Nun will er zurück in den Sündenpfuhl mit all seinen Verlockungen, und da ist er auch schon: bitte sehr, Ihr Opfer, Madame.

Patrick Abozen gibt einen überzeugend unsicheren Lövborg, dessen großer Wunsch nach souveräner Ausstrahlung mitten ins Spinnennetz führt. Die hilflose Thea, die zuschauen muss, wie Hedda »ihren« Künstler erst zum Alkohol und schließlich noch zur Teilnahme an einem der berüchtigten Herrenabende verführt, ist in der Inszenierung recht eindimensional als »armes Hascherl« angelegt, wird aber in dieser Dimension von Alexandra Sinelnikova ansprechend gespielt. Es kommt, wie es kommen muss – nach dem Besäufnis verliert Lövborg sein Manuskript, Tesman findet es, gibt es nichtsahnend Hedda, die es schließlich mit Genugtuung verbrennt.

Teresa Weißbach, die recht spät für eine erkrankte Kollegin in die Produktion eingestiegen ist (was vielleicht manches erklärt), kann in dieser Szene erstmals das Böse, die Wut und den Vernichtungswillen rauslassen. Mit Freude exekutiert sie nicht nur den Exlover, sondern verbrennt gleich noch sein »Kind« mit Thea und endlich auch deren ­Locken.

Nun hat sie Blut geleckt und überreicht dem verzweifelten Schriftsteller als letzten Liebesbeweis (wer wem?) eine ihrer Pistolen – er möge »in Schönheit« sterben. Aber nicht mal das bekommt er hin. Am Ende ist er zwar tot, aber nur, weil ein rothaariges »Fräulein Diana« ihm in den Unterleib geschossen hat.

»Über alles, was ich nur anfasse, legt sich ein Fluch der Lächerlichkeit und des Billigen.« Ein böses Kind, das gerade ein Tier zu Tode gequält hat, und nun ganz erstaunt ist, dass es nicht mehr lebt. Ibsens Inspiration war angeblich eine 18jährige Wienerin, eine »kleine dämonische Zerstörerin«. Die Szene spricht für sich und gehört zu den gelungensten des Abends.

Meine Verehrung aber geht an Markus Boysen als Richter Brack, der von der ersten Minute an sehr souveränes, bestes Schauspielertheater zeigt. Ich rufe nicht gern »Bravo!«, hole das aber hiermit nach.