Rosarote Zwangsbrille

Shakespeares »Wie es euch gefällt« am Wiener Burgtheater

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Rosarote Zwangsbrille
Shakespeares »Wie es euch gefällt« am Wiener Burgtheater
Von Eileen Heerdegen

»What the world needs now …«

Endlich haben es auch die in den Saal geschafft, die ganz in der Mitte sitzen. Ich, Außenplatz, stehe da wie jemand, der im Nobel­hotel die Türen aufhält und dafür weder Dank noch Beachtung erfährt. Mittlerweile darf aber auch ich sitzen, es ist endlich dunkel, der Neonrahmen der Bühne und der in starke Falten gelegte Satinvorhang versprechen in leuchtendem Pink einen aufregenden Abend, ein alter Mann weit links hält irgend etwas für einen guten Regieeinfall und blökt das in die Lautlosigkeit.

»… is love, sweet love«

Die rosarote Zwangsbrille passt, schließlich geht es um die Liebe. Neben Kriegslust, Hass, Gier und Missgunst ein zentrales menschliches Bedürfnis, so zeitlos, dass auch eine 423 Jahre alte Komödie noch bewegen kann. Spoileralarm: Am Ende kriegen sich alle. Rosalinde ihren Orlando, der Schäfer die Schäferin, Touchstone das Bauernmädel, und als Sahnehäubchen findet auch noch die wundersame Läuterung der Bösen statt.

Doch zurück auf Anfang: zum Burt-Bacharach-Evergreen mit Botschaft, die Rückenansicht eines sich leicht bewegenden feingliedrigen Wesens im fliederfarbenen, durchscheinenden Tüllhosenrock mit Rüschenträgern. Ein binäres Zauberwesen, ein blondgelockter Elf mit erstaunlich kräftiger Stimme und E-Gitarre: Oskar Haag, 16 Jahre, Schauspieler, Musiker und Komponist, ein Sommernachtstraum im Dezember.

Im Kontrast zur poetischen Märchenszene folgen eindrucksvolle kurze Schlaglichter, Figuren, die anschließend in kompletter Dunkelheit verschwinden. Rosalinde und Celia, ein Reifrock (pink) mit zwei Oberkörpern (rosa), Cousinen, Tochter des bösen Herrschers die eine, des verbannten Widersachers die andere. Unter dem Reifrock hockt im roten Rosenjäckchen das genderfluide Narrenwesen Touchstone, das später die beiden Frauen auf ihrer Flucht zu den Verbannten in den Ardenner Wald begleiten wird.

William Shakespeare hat sein Stück erstaunlich modern angelegt mit uneindeutigen Verhältnissen (ist die Beziehung zwischen Rosalind und Celia wirklich rein schwesterlich?). Dem larmoyanten Liebhaber Orlando (Christoph Luser vielleicht ein bissl arg linkisch) steht eine starke Frau gegenüber, die ihn vorführt, ihn zappeln und leiden lässt. Auch die »Männerfreundschaft«, die Orlando mit seiner als Mann verkleideten Liebsten Rosalinde verbindet (sie hat sich auf der Flucht schützen müssen und nutzt jetzt die Verkleidung, um ihn zu prüfen), ist stark homoerotisch aufgeladen. Es gab in der jüngeren Vergangenheit bereits reine Männerensembles (Ende des 16. Jahrhunderts übrigens die Regel), aber auch ausschließlich weiblich besetzte Inszenierungen des Stücks; das Team um Regisseurin Tina Lanik hat sich für ein lockeres Spiel mit Geschlechterrollen entschieden.

Bei Spaßmacher:in Touchstone funktioniert das dank der witzigen, wandlungs- und bewegungsfähigen Andrea Wenzl ganz hervorragend, während Nina Siewert nur als Rosalinde überzeugen kann, die Verwandlung in Ganymed gelingt weder optisch noch über Gesten, Stimme oder Bewegung. Hier wurde eine reizvolle Chance vertan, denn die Beziehungen der Figuren, Schein und Sein, sind das ewig Aktuelle der Dichtungen, das auch heute noch Interessante.

Der hanebüchene Plot kann als märchenhafte Rahmenhandlung dienen. Die große Charlotte Schwab, der junge Tilman Tuppy, Martin Reinke als beide Herzöge und (sehr lustig) als hamburgisch schnackender Schäfer – wen die allesamt ausgezeichneten Schauspieler gerade darstellen, ist nicht wichtig, es macht Spaß, ihnen zuzusehen. Es macht auch Spaß zuzuhören. Der junge Oskar Haag hat die gesamte Bühnenmusik komponiert, setzt Akzente mit E- und Akustikgitarre, seine melancholischen Songs schaffen die verträumte leichte Stimmung, die der Inszenierung insgesamt gutgetan hätte.