Alexandra Lynn, aka Alex the Astronaut mit neuem Album „How to Grow a Sunflower Underwater“: Singer-songwriter-folk-pop-indie von einer, die Physik und Mathematik studiert hat – solche Leute erwecken bei mir größtes Erstaunen und Bewunderung. Mein Artikel in der jungen Welt erzählt noch mehr:
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Niemals süß
Alex the Astronauts Album »How to Grow a Sunflower Underwater«
Von Eileen Heerdegen
Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben, wumm bumm, da da da da da da. Sollte Jürgen Marcus endlich ausgedient haben? Die junge Astronautin Alex könnte frischen Wind in den generationenübergreifenden Wunsch nach neuem Spiel und neuem Glück bringen.
»Not Worth Hiding«, ein Song über ihr Coming-out, brachte die 1995 in Sidney geborene Alexandra Lynn 2017 in die Charts und wurde schnell zur inoffiziellen Hymne der »Yes«-Kampagne für gleichgeschlechtliche Ehen in Australien. Dabei hätte Alex sich eigentlich niemals vorstellen können, »dass einmal Millionen fremder Menschen erfahren, dass ich lesbisch bin«, aber »ich habe eine Stimme, die gehört wird, also sollte ich meine Fähigkeiten einsetzen, um anderen zu helfen«.
Ungewollte Schwangerschaft oder Gewalt in der Ehe waren dann auch Themen ihres Debüts in 2020, »The Theory of Absolutely Nothing«. Der ungewöhnliche Titel klingt nicht zufällig nach Urknall und schwarzen Löchern, Alex hat in New York Mathematik und Physik studiert. Ob eher die Wissenschaftlerin das Alter Ego als Astronautin begründete oder ein juveniles Einsamkeitsgefühl – die aktuellen Songs von »How to Grow a Sunflower Underwater« beschäftigen sich jedenfalls sehr mit dem Hier und Jetzt. Melancholie und Erinnerungen treffen sich mit Neugier auf die Welt, nicht unbedingt fröhlich, aber doch weit entfernt von Major Toms hoffnungslosem »sitting in a tin can«.
War die erste LP musikalisch eine unkomplizierte, eher sparsam instrumentierte Wanderung zwischen Singer-Songwriter-Folk und Indie-Pop, erinnert der Sound jetzt gelegentlich an Cold Play und wirkt stellenweise zu opulent. Andererseits klingt es nach Spaß am Ausprobieren und schon Alex’ Gesang erdet das Ganze. Ihre Stimme wirkt jungmädchenhaft, dabei aber niemals süß, sondern kantig, ein bisschen rauh und einfach wie die von jemand, der etwas zu sagen hat.
Die oft poetisch-philosophischen Texte erzählen von traumatischen Erfahrungen (»sick«) oder (»Airport«) von der angstvoll-zarten Annäherung an einen geliebten Menschen nach zwei Jahren Lockdown-Trennung. »Growing up« stellt die essentiellen Fragen übers Erwachsenwerden, die selbst für Boomer noch relevant sind: »If you painted me what color would you make me? And what color do I need to be to make the whole world want me? When is my parking ticket ending? Is there still love in your eyes?« (In welcher Farbe würdest du mich malen? Welche Farbe brauche ich, damit die Welt mich will? Wann läuft mein Parkschein ab? Sehe ich noch Liebe in deinen Augen?)
Das Album endet mit einer Botschaft, bei der Jürgen Marcus sich warm anziehen muss. »Haircut« – bei Alex the Astronaut beginnt das neue Leben mit einem Haarschnitt. »Now the mirror looks back / And I feel like who I am supposed to, do you know that feeling?« Ja, ich kann das bestätigen. Weg mit den langen Locken, und du bist endlich du selbst. Das neue Selbstbewusstsein ist tanz- und hüpfauffordernd und – jenseits aller widerlichen Gute-Laune-Songs – von echter Fröhlichkeit. Da möchte man die Alex umarmen und als Freundin haben, oder als Tochter, bei der man alles richtig gemacht hat.
2021 wurde bei der jungen Frau eine Autismus-Spektrum-Störung (ASD) der Stufe 1 diagnostiziert. Greta Thunberg ist ein Beispiel für die Kraft von Menschen mit dieser Disposition. Alex the Astronaut wird uns also vielleicht noch überraschen – Mädchen mit kurzen Haaren sind eh zu allem fähig.