Zur Premiere von Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« im Wiener Theater in der Josefstadt
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»Was hätten Sie getan?«
Zur Premiere von Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« im Wiener Theater in der Josefstadt
Von Eileen Heerdegen
»Feuergefährlich ist viel, aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal, Unabwendbares. Anderes nämlich, Schicksal genannt, dass du nicht fragest, wie’s kommt, Städtevernichtendes auch, Ungeheueres, ist Unfug, menschlicher, allzumenschlicher … Viel kann vermeiden Vernunft.«
So die mahnenden Worte der Feuerwehrfrauen zu Beginn. Doch wenn sie schläft, die Vernunft, dann gebiert sie bekanntlich Ungeheuer. Brandstifter zum Beispiel, aber auch Biedermänner, die einer ohne den anderen nicht leben können. Den Biedermann des Premierenabends am 10. Oktober, Marcus Bluhm, kenne ich tatsächlich als (blutjungen – 1990) Brandstifter, einen brillanten, eiskalten Wolodja in »Liebe Jelena Sergejewna«, einem russischen Theaterstück, in dem eine Lehrerin erkennen muss, dass sie keine aufrechten (sozialistischen) Menschen herangezogen hat, sondern Anführer und Mitläufer zur kompromisslosen Durchsetzung eigener Vorteile. Es war neben »Lulu« das zweite Stück meiner Zeit am Hamburger Schauspielhaus, nach dem ich hemmungslos weinen musste.
Bei Max Frischs berühmten Theatertext »Biedermann und die Brandstifter« stellt sich in der Wiener Josefstadt allerdings statt Verzweiflung eher Ratlosigkeit und leider auch Langeweile ein. Regisseurin Stephanie Mohr, die bei ihrer Inszenierung von Fritz Hochwälders »Der Himbeerpflücker« bewiesen hat, dass selbst eine menschenverachtende Vergangenheit mit Lachen bewältigt werden kann, findet hier keinen roten Faden. Möglicherweise, weil selbst Max Frisch sich seiner Sache nicht sicher war. Die Entstehungsgeschichte mutet willkürlich an, ein Text wird zum Hörspiel, das wiederum zum Theaterstück, weil gerade eins gebraucht wird – zugegebenermaßen verkürzt dargestellt. »Kein Lehrstück« hat Frisch es im Untertitel genannt. Er, der die Kunst immer politisch sah, hielt die Menschen nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs für schlau genug, die Parabel zu entschlüsseln. Nach der Schweizer Uraufführung 1958 und der Missinterpretation als antikommunistisches Statement bekam das Stück für die deutsche Erstaufführung ein deutlich politisches »Nachspiel« in der Hölle, mit der wiederum überdeutlichen Botschaft des Teufels, dass Menschen, die in Uniform gemordet haben, in den Himmel kommen.
Später hielt der Autor das Nachspiel für verzichtbar, vielleicht, weil es einen starken Bruch darstellt, und tatsächlich wirkt es in der Inszenierung von Stephanie Mohr wie ein Fremdkörper. Aber möglicherweise hat die Regisseurin geahnt, dass schon die erste erschienene Kritik ausgerechnet Houellebecqs Roman »Unterwerfung« bemüht und die Brandstiftung aus migrantischem Milieu zumindest in den Raum stellt. Eine Bestätigung vom Frischs Pessimismus und für mich immer wieder erstaunlicher Hochmut einer Leidkultur, die zwei Weltkriege und den unvergleichbaren Holocaust zu verantworten hat.
Die Inszenierung punktet mit guten Einfällen – insbesondere alles um den und mit dem Chor der Feuerwehrfrauen – und hervorragenden Schauspielern. Nach der Pause nimmt das Ganze Fahrt auf, insgesamt werden die mehr als zwei Stunden aber recht zäh und lang. Schade, denn die Erkenntnis, dass eben nicht die Obdachlosen, die Fremden, brandgefährlich sind, dass Wahrheiten nicht einfach sind, dass genau hingeschaut werden muss, braucht einen wachen Kopf.
»Mich interessiert der Beginn einer Katastrophe. Wann ist der Punkt des Neinsagens? Wenn man die Katastrophe erkennt, ist es meist viel zu spät. Das Schlimmste ist, sich daran zu gewöhnen. Wir sind bereit, nicht nur den Urhebern unsrer Katastrophe eine volle Amnestie zu gewähren, sondern sogar uns selbst, indem wir alle historischen Katastrophen, die gewesenen wie die kommenden, als ein schlichtes Schicksal betrachten, als unvermeidlich. Und nur dann, wenn von Verantwortung nicht die Rede sein kann, sind wir bereit, zu vergessen, wie es zu dieser Katastrophe gekommen ist – und bereit für die nächste«, schreibt Max Frisch und lässt seinen Biedermann das Publikum befragen: »Was hätten Sie denn getan, Herrgottnochmal, an meiner Stelle?«
Vielleicht bleibt noch Zeit, überhaupt etwas zu tun.