Klebrig-selbstzufrieden: In »Führer und Verführer« von Joachim A. Lang spielt Robert Stadlober den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels
https://www.jungewelt.de/artikel/479598.kino-es-kann-wieder-geschehen.html
Es kann wieder geschehen
Klebrig-selbstzufrieden: In »Führer und Verführer« von Joachim A. Lang spielt Robert Stadlober den Reichspropagandaminister Joseph Goebbels
Von Eileen Heerdegen
Als ich Robert Stadlober an einem brüllheißen Junitag in einem Wiener Kaffeehaus treffe, etwas gestresst, aber gutgelaunt in Hawaiihemd und Latschen, kann ich ihn mir nur schwer als Joseph Goebbels in seinem aktuellen Spielfilm »Führer und Verführer« vorstellen. Und Fritz Karl als Hitler? Grandios als kaputter Bulle in Lars Beckers »Unter Feinden«, dem breiten Publikum aber eher als charmanter Komödienverführer bekannt.
Stadlober: »Bei uns ist Hitler nicht die schreiende Bühnenpersönlichkeit, sondern mehr oder weniger privat oder in Amtsgeschäften zu sehen. Fritz ist großartig, er macht aus ihm einen ziemlich unsympathischen, aber melancholischen, larmoyanten und neurotischen Mann. Ein eher unbekannter Hitler, der es nachvollziehbarer macht, dass so viele diesem Mann auf den Leim gehen konnten. Für die Massen auf der Straße ein idealer Agitator, aber eben nicht nur dieser krakeelende Schreihals, sonst hätte er nicht diesen Erfolg bei Industrie und Adel gehabt.«
Bei seiner Uraufführung am Münchner Filmfest wurde »Führer und Verführer«, Regie Joachim A. Lang, mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, von Medienseite hingegen kamen manch absurdes Statement und teils herbe Kritik. Für mich unverständlich und mehr mit der Tatsache zu erklären, dass seit der medialen Zeitenwende, Stichwort »Schwurbler«, seit auch geringe Abweichungen vom Mainstream mit Stereotypen abgestraft werden, zunehmend weniger differenziert wird. Großer Vorwurf hier, der Film zeige nicht die Opferperspektive.
Täterversteher? Mitnichten. »Führer und Verführer« ist ein Spielfilm mit dokumentarischen Momenten. Er zeigt Elend und Opfer der Nazipolitik in teils drastischen Originalaufnahmen und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Aber selbstverständlich heißt »Nie wieder«, sich mit den Tätern zu beschäftigen. Der Pionier der Holocaustforschung Raul Hilberg (»The Destruction of the European Jews«) war gegen eine »opferorientierte« Geschichtsschreibung und sich sicher, der Vernichtungsprozess in seiner Gesamtheit, in seinem Ablauf und in seiner inneren Logik müsse in erster Linie von der Täterseite her analysiert werden, da es fast ausschließlich die Täter waren, die den Prozess gestalteten und bestimmten.
»Das ist eine Faszination, die an Liebe grenzt, die Liebe ist. Ich will da gar keine homoerotische Neigung unterstellen, aber es geht auf jeden Fall weit über das Verhältnis zwischen zwei Politikern hinaus. Goebbels, der eigentlich zum sozial-revolutionären Flügel der NSDAP gehört, wirft seine gesamte Ideologie um, nicht nur an diesem Punkt, sondern über die gesamte Spanne seines Lebens. In den Tagebüchern kann man nachlesen, dass er zunächst vollkommen überzeugt ist, dass der Krieg gegen die Sowjetunion absoluter Wahnsinn ist, dass es auf gar keinen Fall passieren darf. Aber nach einer Unterredung mit Hitler schreibt er das komplette Gegenteil von dem, was er am Tag vorher behauptet hat. Durch die ruhige Art von Fritz funktionieren diese intimen Momente im Film wahnsinnig gut.«
So Robert Stadlober zum Verhältnis von Hitler zu seinem Propagandaminister, dazu Goebbels im Original: »Er antwortet glänzend. Ich liebe ihn. Soziale Frage. Ganz neue Einblicke. Er hat alles durchdacht. (…) Ich beuge mich dem Größeren, dem politischen Genie.«
Stadlober, der sich neben den Tagebüchern »dieses Irren« auch mit Hannah Arendts »Banalität des Bösen« und Klaus Theweleits »Männerphantasien« auf die Rolle vorbereitet hat, ist in »Führer und Verführer« tatsächlich kaum wiederzuerkennen und schlicht großartig. Die unangenehm-eitle Freude über eine gelungene Menschenmassenbegrüßungsinszenierung für den Führer, die klebrige Selbstzufriedenheit, die bei geringstem Gegenwind brüchig werden kann, das stets zwischen Übereifer und Demut pendelnde, fast kindlich anmutende Verhältnis zu Hitler als väterlicher Überfigur, die clevere und eiskalte Skrupellosigkeit, die schließlich mit einem »ich bin stolz auf dich« für Ehefrau Magda endet, als diese zustimmt, vor dem Suizid auch die gemeinsamen sechs Kinder zu töten.
Auch Franziska Weisz spielt ihre Rolle mit ungeheurer Ausdruckskraft. Magda Goebbels, eine eigentlich lebenslustige Frau mit Liebhabern und einem jüdischen Stiefvater, die sich immer mehr in ihre Verblendung verstrickt, sich selbst zu Hass und Härte zwingt.
Wieder erstarkende Männerbündeleien, die Rüstungslobby jeden Tag in einer anderen Talkshow, Pazifist als Schimpfwort, tote Kinder als »Kollateralschäden« – in einer Zeit, wo Wolfgang Borcherts »Sag Nein!« in jubelnden Jas untergeht, ist die Konzentration auf Goebbels als Erfinder der »Fake News« durchaus sinnvoll. Die mediale Vorbereitung auf Krieg und die Vernichtung von Millionen Menschen ist gerade heute und gerade für Jugendliche ein wichtiges Beispiel, insbesondere zusammen mit den erschütternden Zeitdokumenten von Erschießungen, Leichenbergen und den Mahnungen von Überlebenden wie der 102 Jahre alten Margot Friedländer. »Es ist geschehen – und folglich kann es wieder geschehen« (Primo Levi).