Publikumsbeschimpfung

»Zentralfriedhof« – eine Zumutung von Herbert Fritsch am Wiener Burgtheater

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Publikumsbeschimpfung
»Zentralfriedhof« – eine Zumutung von Herbert Fritsch am Wiener Burgtheater
Von Eileen Heerdegen

»Sag zum Abschied leise servus.« Nein, ausgerechnet der griechische Wein musste es sein, dieses »fröhliche« Lied, zu dem die Tante Erna so gern getanzt hat. Nun liegt sie stumm in einem schmalen Holzsarg und nur das Foto einer lachenden Frau hält noch die Illusion aufrecht, dass die 95jährige, deren Leben durch Krieg, Angst und Verlust geprägt war, nicht ebenso traurig war, wie die Migranten, von denen der Jürgens Udo zu Ernas Abschied singt. Die Sargträger der Bestattung Wien tragen festliche Mäntel, deren gestreifte Revers in einen matrosenhaften Klappkragen münden, und anschließend kann ich mich mit einigen Achterln Grünem Veltliner darauf vorbereiten, dass heute für mich neben dem Begräbnis in Hietzing auch noch der Zentralfriedhof auf dem Programm steht.

Konkret auf dem Spielplan des Burgtheaters, zweite Vorstellung, oft besser als die Premiere (19.4.), mit weniger verfälschten Reaktionen durch (Theater-)Familie und Presse. »Zentralfriedhof« von Herbert Fritsch, letzte Premiere der fünf Spielzeiten des glücklosen Intendanten Martin Kušej. »Einen wilderen Hund wird man in der jüngeren deutschen Theatergeschichte lang suchen müssen«, schrieb das Magazin News im März 2023 über Fritsch und seine Berliner Vergangenheit. »Das Theater, wie wir es kannten, wurde in die Luft geworfen und zersprang, als es auf dem Boden aufkam in 1.000 Stücke, die sich wie von Zauberhand zu etwas Kühnem, Neuem, noch nie Dagewesenem fügten.« Seine mit soviel Vorschusslorbeeren gehandelte Raimund-Inszenierung an der Burg geriet für mich zu einer mit dümmlichen Wortspielen versetzten Enttäuschung.

Aber: »Der Tod ist ein Fehler, dem sich Herbert Fritsch in ZENTRALFRIEDHOF vollumfänglich widmen wird. Fritsch interessiert, wie man Sterben richtig spielt oder warum es Geisterbahnen gibt. (…) Es geht ihm (…) um die Vorstellung des Eigenlebens der Toten an diesem Ort. Männer und Frauen, Alte und Kinder, Menschen jedweder Kultur, Bildung oder sozialen Herkunft liegen hier gemeinsam beieinander. Herbert Fritsch nähert sich dieser Gemeinschaft der Toten vorsichtig an, voller Zärtlichkeit. Er will nicht anekdotisch von den Toten erzählen, sondern – wer hätte es gedacht – komisch. (…) Fritsch fragt sich, wie die Toten kommunizieren (…) Und wie das Leben nach dem Tod aussehen mag. Wäre doch schön, wenn er uns einen Ausweg zeigen könnte.«

Dieser Text des Burgtheaters klingt fast zu schön, um wahr zu sein, und Dramaturgin Sabrina Zwach scheint mit einer Arbeit über »Briefe über den Anfang vom Ende« auch im Thema zu sein. Ich bin also fest entschlossen, die erste gute Kritik zu diesem Abend zu verfassen.

Und dann wird es so öde, so todlangweilig, dass ich mich persönlich betrogen fühle. Die Geisterbahn ist ein roter Lichtschlitz, manchmal ist das Licht schön, es gibt eine Szene mit phantasievollen Gewändern und sogar ein bisschen Handlung, wenn ein paar Köpfe in die Erde gedrückt werden und wieder hervorkommen. Ein paar Sekunden Breakdance, einmal wirbelt ein wunderschöner Blätterregen auf die Bühne. Die restliche Zeit des glücklicherweise nur 90 Minuten dauernden Elends fahren Menschen mit grauen Kappen und grauen Anzügen auf Fahrrädern über die Bühne. Manchmal bleiben sie stehen, halten die Radln nach oben – war das jetzt die »Zärtlichkeit«? Die versprochene Komik jedenfalls findet anscheinend in den einzigen gesprochenen Worten statt – da wird aus »Hallo Wien« plötzlich »Helloween«. Brüller. Sonst werden nur gelegentlich Laute und Schreie ausgestoßen. Vielleicht stand hierfür einer meiner Lieblings­filme, »Themroc«, Pate, aber was dort ein anarchistisches Vergnügen war, bleibt hier nur Zumutung. Ich habe noch nie erlebt, dass niemand im weiteren Umkreis geklatscht hat, selbst zum »Buh« waren alle zu müde.

»Sag zum Abschied leise servus«. Nochintendant Martin Kušej hat es mit Corona und Teichtmeister wahrlich nicht leicht gehabt. Jetzt muss er gehen, so wie an allen Theatern ständig gegangen und gekommen wird, die Kaiser nicht nur ihre neuen Kleider, sondern eine ganze Entourage mitbringen, auf Pressekonferenzen betonen, wie herzlich sie aufgenommen wurden, und hinterrücks »Schleich di« wispern. Das schmerzt, das bohrt in den Eingeweiden, ich weiß das, und Martin Kušej weiß es jetzt auch.

War also diese Inszenierung eine weitere Prüfung für ihn, oder ist es gar Rache? Eine wütende Publikumsbeschimpfung? Nicht leise servus, sondern laut Scheiße schreien?