Bei Tieren und bei Greisen sehr beliebt: Andreas Dorau ist jetzt 60 und schenkt uns seine neue LP »Im Gebüsch«
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Ein Stück Kuchen dazu
Bei Tieren und bei Greisen sehr beliebt: Andreas Dorau ist jetzt 60 und schenkt uns seine neue LP »Im Gebüsch«
Von Eileen Heerdegen
Andreas Dorau ist am Freitag 60 geworden, zum ersten Mal, wie er betont. Das passt. Noch vor kurzem habe ich ekstatisch zu »Fred vom Jupiter« getanzt und am folgenden Tag das erste Mal Corona bekommen. Das hängt möglicherweise nicht ursächlich zusammen, liefert aber Erkenntnisse: Ich bin doch nicht immun, der Fred war ein so doof-genialer Song, dass er immer noch geil ist und Boomer waren auch mal jung. Im Fall von Andreas Dorau sogar sehr jung.
Ganze 15 Jahre alt war der Hamburger, als er im Rahmen eines Schulprojekts den außerirdischen »Traum aller Fraun« komponierte, 17 als er damit die Hitlisten stürmte. Eine Jugend mit Musik, wie Heinz Strunk sagen würde. Ob’s bei Andreas Dorau auch so unappetitlich zuging, wie in Strunks Roman »Fleisch ist mein Gemüse«, weiß ich nicht, aber langweilig war’s sicher nicht.
Gemäß dem zeitgeistigen Humor von 1982 trat der 18jährige mit dem bildenden Künstler Albert Oehlen als »Evergreens of Psychoterror« auf und legte nach dem 81er Debüt, »Blumen und Narzissen« bereits 1983 die zweite LP vor: »Die Doraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen«. Bis 2019 wurden es insgesamt 13 Langspielwerke mit mehr oder weniger bemerkenswerten Namen, wie etwa »70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft« von 1997.
Ehrlich zerknirscht entschuldige ich mich also in aller Form, dass ich den jungen Herrn Andreas seinerzeit in eine Schublade mit der Aufschrift »Idiot Fragezeichen« abgelegt und dann darin vergessen habe. Aber ich war jung und brauchte kein Geld. Das hat sich grundlegend geändert – wenn ich jetzt zur Sicherung eines prekären Künstlerinnendaseins das bisherige Dorausche Lebenswerk recherchiere, bin ich neidlos erstaunt.
Nebenbei hat der Sohn eines Pfarrers auch noch an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen studiert (Abschlussarbeit »Schlag dein Tier«, keine Gewaltorgie, sondern ein Quiz-Battle gegen das eigene Haustier) und gemeinsam mit Sven Regener zwei Bücher geschrieben.
Doch der Mann, der aussieht wie ein letzter Vertreter der ausgestorbenen Spezies naturschräger britischer Upper-Class-Gent, als nähme er als Herr über Blenheim Castle persönlich am Tor die Touri-Schillinge entgegen, ist sich über die vielen Jahre vor allem mit exzentrischen Musikprodukten treu geblieben. Ein kleines Funkeljuwel unter vielen Schmuckstückchen ist da sicher die 12minütige Fernsehoper »Guten Morgen Hose«, die gemeinsam mit Holger Hiller von Palais Schaumburg entstand und heute noch Avantgarde ist.
Grund genug, sich das Geburtstagsgeschenk des Künstlers an sich selbst, Studioalbum Nr. 13, »Im Gebüsch«, vorfreudig anzuhören. Irgendwo in Doraus Texten findet sich die Zeile, »Ich habe ein Radiogesicht, aber fürs Radio reicht die Stimme nicht«, und in der Tat ist er nicht der Sänger vor dem Herrn, zumal sich seine Stimmlage auf seltsame Weise verjüngt hat und nun irgendwo zwischen einem Gartenzwerg und der Mickymaus hängt. Passt aber.
Elektronikpop, dem bei aller Eingängigkeit und treibendem Schlagzeug immer eine angenehme Melancholie innewohnt, hier wird man garantiert nicht mit feel-good-music belästigt und beleidigt. »Auf der Weidenallee« ( »… mit einem Becher Kaffee, ein Stück Kuchen dazu, die Sorgen verschwinden im Nu«), der sentimentale Ton trifft diese Eimsbüttler Straße am Rande der fast oder schon gentrifizierten »Schanze« recht gut.
»Rainy days in Moscow« (mit Güner Künier und Brezel Göring) ist ein echter Ohrwurm, der sich irgendwo zwischen »I’m a man« der Spencer Davis Group und Plastic Bertrand eintrudelt.
Und schließlich ein tanzbares Fazit: »Das ist Musik, das sind nur Worte und Noten, das ist nur Musik, geschrieben von Idioten, doch es ist nur Musik, gesungen meist von Toten, das ist Musik, sie ist bei Tieren und bei Greisen sehr beliebt.«
Dazu fällt mir Curd Jürgens ein: »60 Jahre, auf dem Weg zum Greise, und doch 60 Jahr’ davon entfernt.« Forever Fred, forever young.