»Bis nächsten Freitag« von Peter Turrini im Wiener Theater in der Josefstadt
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Lautloses Abspritzen
»Bis nächsten Freitag« von Peter Turrini im Wiener Theater in der Josefstadt
Von Eileen Heerdegen
»Flinten-Uschi. Flinten-Uschi. Flinten-Uschi.« Dreimal. Der Brüller klappt aber erst nach dem erlösenden Hinweis auf die »EU-Hyäne«. Leichter hat es da: »Alle Welt ist heute schwul, deshalb heißt es auch globale Erderwärmung« – das Publikum kann befreit losprusten, glücklich, deshalb geht man schließlich ins Theater.
Doch grundsätzlich lustig ist der Stoff des Werkes des österreichischen Dramatikers Peter Turrini nicht – zwei alte Männer am Ende ihres Weges, jeder auf seine Weise unfähig und unwillig, mit Verlusten und Veränderungen umzugehen. Das hätte rührend, todtraurig, tragikomisch, sarkastisch sein können, leider ist es eine, oft langatmige, Altherrenzote geworden.
Marcello de Nardo als gehörloser Parsifal (leider übernehmen die Kritiken den veralteten, unrichtigen und diskriminierenden Begriff »taubstumm«) versteht es, mit selbstvergessenem Tanz einen poetischen Einstieg zu schaffen. Noch ist alles gut, ein freundlicher Erwin Steinhauer als Buchhändler Richard wartet an diesem (und weiteren) Freitag(en) bei Wirtin Jana und dem stillen Peterchen im Lokal »Zur tschechischen Botschaft« auf Jugendfreund Werner. Der poltert herein, jetzt werden Charaktere mit dem Holzhammer geschaffen. Werner schwurbelt, dass die Schwarte kracht: Coronaleugner, Trump- und Orbán-Fan, ein Fremdenfeind, der selbst tschechisches Bier ablehnt. Richard, der belesene Gutmensch, versteckt abgewiesene Asylsuchende in seinem Geschäft und schafft es, fast den gesamten Abend den gleichen mild lächelnden Gesichtsausdruck beizubehalten.
Herbert Föttinger darf als cholerischer Unidozent Werner alle Register ziehen, leider ist nicht nur die Figur grob gemeißelt. Der Text bietet wenig leise Töne – Erinnerungen an gewalttätige Eltern, das Geständnis, an Prostatakrebs erkrankt zu sein, verschwinden hinter spätestpubertären Themen: Wichsen unter der Schulbank angesichts des »Atombusens« der Lehrerin. Das gefällt auch Richard, der Träume über verlorene Eier (gleich Hoden) zum besten gibt. Höhepunkt im wahrsten Sinne sind gefühlte 30 Minuten zum Thema »lautloses Abspritzen« (Schulzimmer, Internat, ich will nicht wissen, wo sonst noch).
Es gibt aber auch weniger harmlose Tabubrüche. Ich habe in diesem Theater selbst erlebt, dass bei Turrinis »Aus Liebe« rassistische Äußerungen mit zustimmendem Raunen begleitet wurden. Bei Werners Wutrede über die Opfer des Holocaust, die im Gegensatz zu ihm auf ewig unvergessen sein werden, ist es grad noch mal gutgegangen. Aber dann: »Lieblingsneger« und ein Oberarzt als »Mohr im Hemd« – ein Josef Hader kann solche Dinge in einen Kontext stellen, in dem das Lachen nicht zustimmend ist, hier gelingt das nicht.
»Ich bin ein Dramatiker, der seine Figuren, wie schäbig sie auch immer sein mögen, nicht verurteilt«, so der Autor im Interview für das Programmheft. Aber wie behält man die Geister, die man rief, im Griff?
Mit Antisemitismus und Rassismus ist Dozent Werner meilenweit von Peter Turrini entfernt, dessen »Tod und Teufel« zum besten gehört, was ich am Theater gesehen habe. Und doch drängt sich die Frage auf, welche Probleme der Autor selbst, der stolz erwähnt, keinen Computer zu nutzen, mit einer sich verändernden Gesellschaft hat.
»Ich finde das neu gewonnene Selbstbewusstsein vieler Frauen gut, aber kann man sich nur erhöhen, indem man andere erniedrigt?« Wer hinter gut nicht einfach einen Punkt macht, den entlarvt die Relativierung tatsächlich als »alten weißen Mann«, unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht. Oder gar genderfluider Identität, ein Thema, das rückwärtsgerichtete Menschen jeder Couleur mehr aufregt, als Kriegsgefahren und Klimakatastrophe zusammen.
»Ich scheiß mich an«, Richard findet kein Klo angesichts 20 verschiedener »Häusln« für jede Identität, das Publikum pinkelt sich vor Vergnügen in die Hose. Real wird aber umgekehrt nur eine Toilette für alle gefordert. Ein Vorhaben, dass ich nicht unterstützen möchte, wenn ich mir vorstellen muss, dass sich in der Nebenkabine einer stumm Erleichterung verschafft.
Nachdem alle glücklich sind, dass Richard nicht schwul ist (ein junger Kerl hat ihm einen geblasen, und er hat nur an das »goldene Dreieck« der Frauen gedacht), es aber keinen »Anschluss unter dieser Nummer« mehr gibt, tanzt auch Walter mit Peterchen nicht in den siebten Himmel, sondern in den Tod.