Die Türen mit dem Album »Kapitalismus Blues Band«
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Die Angst des weißen Mannes
Die Türen mit dem Album »Kapitalismus Blues Band«
Von Eileen Heerdegen
Der Dorotheenstädtische Promifriedhof in Berlin-Mitte hat mit dem Pariser Père Lachaise so wenig zu tun wie die Berliner Band Die Türen mit den Doors. Auch wenn die Totenglocken ihres »Lost in Invest« hervorragend zur düsteren Stimmung von Jim Morrisons »Riders on the Storm« passen könnten. »There’s a killer on the road.«
Die Mörder sind unter uns, immer noch, immer wieder. Die, die gewarnt haben, sind Geschichte. Auf dem beschaulichen Gräberareal an der Chausseestraße weisen keine Graffitis den Weg zu Bert Brecht, Heinrich Mann, Anna Seghers, Arnold Zweig – die dürfen hier tief und fest schlafen wie die Vernunft.
»Grunewald is burning« – die Türen mit neuem Album als »Kapitalismus Blues Band« bieten musikalische Untermalung zur aktuellen endzeitlichen Bedrohung. Wild, laut, The Clashs »London Calling« drängt sich auf, wirkt aber fast wie ein seitenscheitelbraver Vorgänger. Kein dumpfer Post-Punk-Stampf, sondern ein hübsches ausgeklügeltes Gute-Laune-Stück für Tiefdeprimierte – »alles in die Luft sprengen«. Gitarren wie Dudelsäcke, ein Rhythmus von Madness bis Devo und ein schöner Choreinschub im Geiste von »Power to the People«, dessen Text ich leider akustisch nicht entziffern kann, ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich »Feuer auf die Fanta« heißt. Egal, mein absoluter Lieblingstrack, dazu gibt es auch ein kongeniales Video von Patrick Wengenroth.
Doch der aufrührerische Funky-Punky-Hit ist eher ein Ausreißer. »Gut für mich, schlecht für die Welt« ist als Opener gut gewählt und richtungsweisend. Ein bisschen Neue Deutsche Welle der intellektuelleren Art, und wer an »Bück dich hoch« oder »Leider geil« denkt, liegt auch richtig, Gitarrist und Sänger Maurice Summen hat in der Tat auch für Deichkind geschrieben. »Yeah«, lakonisch-arrogant verweist er mit seiner angenehmen Stimme die synthetische singende Säge auf ihren Platz. »Wer hat uns versprochen, hier einmal heile rauszukommen?« Eine pessimistische Frage, aber nur leise Kritik, eher eine Beschreibung von Konsumverhalten und Lebenswirklichkeiten derer, die »in der Bio Company mit Subkulturjobs« beschäftigt sind: »Du hörst die Musik natürlich nicht auf Spotify, sondern lädst sie runter auf Bandcamp.« – »Am Ende der Welt Bürgergeld«? Ach nein, »Let’s dance, lass den Nachbarn doch Champagner bringen«.
Die Türen waren in den 20 Jahren ihres Bestehens immer Avantgarde, aber eben nicht Agitprop. Neben Maurice Summen sind es Gitarrist und Synthesizer-Operator Andreas Spechtl (Ja, Panik!), Bassist Ramin Bijan, Keyboarder Michael Mühlhaus und Gunther Osburg (Gitarre), die auch auf diesem Album wieder mit viel Spielfreude und überraschenden Ideen, Genremix und Stil-Hopping präsentieren.
Das eingangs erwähnte »Lost in Invest«, eine düstere, jazzige Film-Noir-Komposition mit schräger Trompete kommt fast ohne Text und hätte auch definitiv keinen gebraucht. Das zum Schluss mantramäßig wiederholte »Hätte, hätte Blockchainkette« kratzt eher an der Makellosigkeit.
»Zuviel los gerade« – wer noch keinen Burnout hat, darf ihn sich abholen. Statt Tabletten funktionieren auch die Träume vom »Wohnzimmer meines Opas«, »Krieg der Sterne«-Bläser wecken die Schläfer in den Strawberry Fields rechtzeitig auf, um sich an einem munteren Indie-Rock-Stückchen zu freuen: »Die Angst des weißen Mannes (sie ist dunkel, sie ist schwarz)«. Aber »wir haben noch Zeit, wir haben noch Lust, wir haben noch Wut, Freude und Frust« und fordern: »Genug für alle, genug für jeden!«
Zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum. Die Schriftstellerin Sibylle Berg dokumentiert und kommentiert ihre erfolglosen Versuche, in Zürich eine Kleinstwohnung zu ergattern. 17-Quadratmeter-Wohnklos für mehr als 2.000 Euro – der Kapitalismus versucht noch, uns diese Kacke mit der Idee des »Tiny House« als Gold zu verkaufen. Und die Blues Band singt dazu: »Ich werde unteilbar tiny wie ein Atom, es geht noch kleiner als Licht oder als Strom. Ich hab’ ein Tiny House gebaut nur für mich. Es ist so schön.«
»Euer Mangel an Traurigkeit deprimiert mich.« Also, ich kann nicht gemeint sein.