»Publikumsbeschimpfung« von Peter Handke als Minioper mit der Indieband Kreisky im Wiener Rabenhof-Theater
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»Sie werden kein Schauspiel sehen«
»Publikumsbeschimpfung« von Peter Handke als Minioper mit der Indieband Kreisky im Wiener Rabenhof-Theater
Von Eileen Heerdegen
Draußen schreit ein Mann. Er schimpft aber weder mit noch ohne Grund, er schimpft gar nicht, er ruft, er sucht Arbeit. Eine altmodische Bekanntmachung. »Aber nicht schwarz!« Stolz und Selbstbewusstsein, sehr gut, aber warum muss er überhaupt suchen? Wahrscheinlich ist er keine Fachkraft. Peter Handke ist auch keine Fachkraft, hat Jura studiert und trotzdem den Literaturnobelpreis erhalten.
Abitur und Studium mit Auszeichnung trotz notwendiger Nebenbeschäftigung, mit 23 schon Literaturpopstar – das war hart erarbeitetes Glück für den Kärntner. War ich nur zu faul oder hatte ich auch kein Glück? Wir alle, die wir schreiben, musizieren, schauspielern, malen und nicht davon leben können, selbst schuld? »Sehr geehrte Damen und Herren / Vom Verband der anonymen Loser / Ihr Veteranen der vertanen Chance / Hiermit ersuche ich um Aufnahme / Meiner unglücklichen Person / Ich gehöre zu euch (…) / Der versäumte Postsendeschluss / Der nicht-gegebene Kuss / Die Packung Wein / Vor dem Bewerbungsgespräch / Und jedes Mal und überall / Und immer zu spät.« (Kreisky, »Veteranen der vertanen Chance«)
Für Franz Wenzl, Sänger der Indierockband Kreisky, den ich im Wiener Rabenhof-Theater ein paar Tage vor der Premiere (27. September) von Peter Handkes »Publikumsbeschimpfung« treffe, ist diese Inszenierung nach dem Sibylle Berg-Stück »Viel gut essen« schon die zweite Theaterarbeit mit der Band am Rabenhof. Ins Schauspielfach wechseln ist allerdings keine Option, Wenzl schätzt die Vielfalt und die Kommunikation mit dem Publikum, die er auch bei seinem Alter Ego Austrofred, urkomischer Möchtegern-Freddie-Mercury-Imitator, gern auch mal (be)schimpfend, ausleben kann. Wenzl wäre es »ein Graus«, auch noch »für den Lebensunterhalt von zehn weiteren Menschen verantwortlich zu sein«. Ständig mit dem Nightliner auf Konzerttour sei aber heute Pflichtprogramm, sofern man Erfolg genug hätte, von der Rockmusik leben zu können, zumal der Plattenverkauf vollkommen tot und Spotify ein großes Problem sei. »Weit weg von dem, was Künstler bekommen sollten. Das Zehnfache wäre auch nicht übertrieben.«
Autoren in den USA klagen gegen den Diebstahl ihrer Werke durch Chat-GPT, die so gefütterte Software soll Werke erschaffen, die Autoren künftig ersetzen. Also wirklich Zeit für eine Beschimpfung des Publikums, das konsumieren, aber nicht zahlen möchte?
Die schwarzhaarige Kellnerin ist vor die Tür des Eckcafés getreten und sprüht sich ausgiebig Deo unter die Achseln. Doch noch ist es ruhig im Rabenhof, mit 50.000 Quadratmetern eine der größten Wiener Gemeindebauanlagen. Architektonisch durchdachtes, gelungenes Beispiel sozialen Wohnungsbaus der 20er Jahre mit aktuell 1.138 Einheiten in verschachtelten Stiegen und Höfen. Mittendrin ein Theater mit wechselvoller Geschichte, das unter Impresario Thomas Gratzer in diesen Tagen 20jähriges Jubiläum als modernes »urbanes Volkstheater« feiern konnte.
Kreisky, die Band der unfröhlichen Texte, mit einem »Zornbinkel am Mikrofon« als Sänger, scheint eine passgenaue Besetzung für diesen Handke, obwohl eine Aufführung mit Musik der ursprünglichen Intention des Autors widerspricht. Denn die Provokation des 1966 von Claus Peymann uraufgeführten Werks liegt weniger in den nur Minuten dauernden Beleidigungen am Schluss, die nicht böse, nicht konkret genug oder zu widersprüchlich (Saujuden, Nazischweine) sind, um tatsächlich anzugreifen und Haltung zu zeigen, sich zudem ohnehin selbst verharmlosen: »Die Beschimpfung ist an niemanden gerichtet.« Die tatsächliche Frechheit war, dem Publikum zu erklären, dass man ihm nichts zeigen werde, nicht daran denke, seine Erwartungen zu erfüllen.
Aber »Schein ist hier Schein«, denn das Spiel gegen dramatische Mittel ist auch selbst eines. Es wird philosophiert, beleuchtet, beschrieben, verdreht. Doch Provokation altert rasant – Handke sperrte die Aufführungsrechte ab Mitte 1969 für fast 20 Jahre: »Das Stück hat inzwischen seine Funktion für das Theater erfüllt. Alle weiteren Inszenierungen können nur Wiederholungen werden.«
Auch große Literaten können irren. »Ihr Fratzen, ihr Kaschperln, ihr Ohrfeigengesichter (…) Sie sind willkommen!« Nach einer kurzen, an Varietézaubernummern erinnernden, musikalischen Sequenz wiederholen sich nur die Worte, die Inszenierung von Matthias Jodl macht aus dem antiquierten Bürgerschrecktheater ein äußerst überraschendes, unterhaltsames Stück und gibt dem zeitlosen Text neue Frische.
»Sie werden kein Schauspiel sehen, ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden.« Alles Lüge und richtig so. Die seinerzeit aufmüpfige Arsch-ins-Gesicht-Pose hat sich überlebt, aber die Fragen nach Relevanz, Sinn und Anspruch des Theaters sind geblieben. Und die Frage nach dem Wert künstlerischer Arbeit.
So empfiehlt auch das österreichische Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur in seinem Medienbegleitheft für Lehrkräfte eine Diskussion zur »Publikumsbeschimpfung« mit Themen wie, »Wozu teure Theater?«, »Theatersubventionen – Vergeudung von Steuergeldern?«, »Theater – wirtschaftlich sinnlose Einrichtungen?«
»Sie sind das Thema«, spricht es fünfköpfig von der Bühne. Kreisky ist ein Chor zur Seite gestellt: Anna Hauf, Anita Rosati und Berenike Tölle, die den Text mit Stimmen, Keyboards, Percussion, Cello und wunderbarer Musik von Michael Mauthner zwischen moderner Oper und mittelalterlichen Tönen interpretieren. Perfekte Verzahnung mit den Songs der Band von frühem Punk bis schrägem Rock im typischen Kreisky-Sound. Treibendes Schlagzeug von Klaus Mitter, rhythmusgebender Bass vom achillessehnengeschädigten Lelo Brossmann, unverwechselbare geile Gitarre mit den elektronisch wabernden »Kastln« von Martin Offenhuber und schließlich Sänger Franz Wenzl, der wieder alles gibt. Auch in weiten, komplexen Sprachpassagen: »Dass ich mir fünf Wochen lang einen Text eingeprügelt habe, erspart mir sicher zigtausend Kreuzworträtsel im Alter.«
Last but not least: Tanja Raunig, für mich eine echte Entdeckung. Die Filmtochter des Ösi-»Tatort«-Kommissars, dort eine echte Gnackwatschn-Kandidatin, begeistert hier mit Spiel und Stimme. Beispielsweise als Vorbeterin in Erlösergestalt in den so komischen wie überraschenden Litaneipassagen. Insgesamt ist diese großartige Aufführung so kurzweilig, dass die nur gut 60 Minuten Spieldauer im positivsten Sinne wesentlich länger erscheinen.
»Das ist kein Welttheater. Das ist Welttheater. Wir haben keine Illusionen nötig, um Sie desillusionieren zu können«.