Irgendwer bleibt über

Im Österreich-Tatort „Was ist das für eine Welt“, Erstausstrahlung So. 26.2.2023, ermitteln Bibi Fellner und Moritz Eisner zur Musik von Kreisky. Eileen Heerdegen hat mitgetanzt.

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Irgendwer bleibt über
Im neuen Österreich-»Tatort« ermitteln Bibi Fellner und Moritz Eisner zur Musik von Kreisky. Unsere Autorin hat mitgetanzt
Von Eileen Heerdegen

»Was ist das für eine Welt / eine Welt voll Hass / eine Welt voll Neid / eine Welt, in der, egal wie man auch rechnet / irgendwer überbleibt.«

Verlierer, Loser, Opfer: »Wenn es dich nicht stört, dass ich, zierlich, blond, mit großer Oberweite, nicht tanzen kann, würde ich dich gern kennenlernen« – auf den Punkt zielgruppengerechte Oldschool-Kontaktanzeigenpoesie, um den Übriggebliebenen früherer Jahrzehnte letztes Geld und Illusionen zu nehmen. Neue Zeit, neue Regeln, neue Männer? Die tun sich immer noch schwer damit, zur Musik nicht nur mit den Zehen zu wippen, sondern auch die Hüften zu bewegen.

»Müssen wir da tanzen?« Besorgte Blicke vom Begleiter, als wir im April 2022 nach negativem Nasenbohrtest den Musikclub »Fluc« entern. Genauer gesagt zunächst die »Fluc-Wanne«, eine ehemalige Fußgängerunterführung zwischen dem Wiener Brennpunktbahnhof Praterstern und den Wurstl­vergnügungen mit Riesenrad. Ein Komparsenjob für den österreichischen »Tatort«, 50 Euro pro Tag sind ein üppiges Honorar für Kinder und Autorinnen. Die wenigen Alten in der Menge aber brauchen nicht nur das Geld, sie sind vor allem Fans der Wiener Indierockband Kreisky.

Als ich 2005 mein halbes Leben nach Wien übersiedelte, dachte ich oft an die einsame Türkin aus »40 qm Deutschland«. Fremd. Zu Paradeisern und Karfiol niemals Tomaten und Blumenkohl sagen. Schräg war immer Heimat, meine Rettung der (leider eingestellte) Alternativsender Okto TV und vor allem der Austrofred. Ein kabarettistischer, grantelnder Freddy-Mercury-Wiedergänger, einer, der sich »nix scheißt« und ohne jedes Fremdschämpotential wirklich lustig ist. Als Franz Wenzl schimpft der Fred seit damals aber auch als Texter, Sänger und Keyboarder von Kreisky, gemeinsam mit Schlagzeuger und Soundtüftler Klaus Mitter, Gitarrist Martin Offenhuber und Lelo Brossmann, der den Bass 2017 von Gregor Tischberger übernommen hat.

»Was ist das für eine Welt«, neuer Song der Band und Titel des aktuellen Österreich-»Tatorts« der an diesem Sonntag ausgestrahlt wird, funktioniert auch als Headline zum Werk der Gruppe, das mittlerweile sechs Studioalben umfasst. Punk-Noise-Alternative mit zornigen, wütenden, traurigen Texten, die niemals auch nur ansatzweise den Bereich modisch-gefühliger »Independent-Schlager«, wie Drummer Klaus Mitter das nennt, berühren.

Das »Tatort«-Team hat für die Szene im Fluc »Kilometerweit Weizen« vom aktuellen Album »Atlantis« (2021) ausgesucht. Eine Gitarre, die wie ein asthmatisches Saxophon klingt, eine verstörende Szenerie aus Glück, Kitsch, Bedrohung und schließlich dem Mord an einem Fremden – das passt perfekt.

Doch zunächst werden wir Komparsen eingekleidet. »Meine Schuld, meine große Schuld« – der Begleiter hat sein Lieblings-Kreisky-Shirt an. »Um Gottes willen, keine Aufschrift!« Die schmallippige Dame vom Kostüm duldet keinen Widerspruch, ein hässliches, grünes Shirt muss drüber. Ich darf so bleiben und im Matrosenhemd auftreten.

Als 13jährige war ich Statistin bei Ilja Richters »Disco«, einige der Mädchen, die nun mit uns von der »Wanne« ins Fluc wechseln, sind nicht viel älter als ich damals. Ihre Musik ist das wohl eher nicht, und so werden die älteren Fans geschickt plaziert. »Ihr kennt die Texte und singt sie bitte mit«, die sehr freundliche Regisseurin Evi Romen (außer der Schmallippigen sind hier alle wirklich nett) treibt dem Begleiter den Schweiß ins Gesicht – mitsingen!

»Und wir steh’n in der Abendsonne / mitten im Feld / Komm, wir machen ein Foto von uns / Wir zwei ausgeliefert.« Und natürlich auch tanzen. Nicht irgendwie, Film braucht ausladende Bewegungen. Irgendwann ist selbst dem Begleiter alles egal. Wir sind Schauspieler, wir machen einen Job, wir tanzen und singen, als gäbe es kein Morgen. Auch die Mädels und Buben um uns herum flippen aus, irgendwann kennt jeder den Text, und die Band auf der Bühne gibt sowieso alles. Es gibt Beleuchtungsproben, Kameraproben, Aufnahmen. Alles mehrfach und aus jeder Kameraperspektive. Die Abendsonne rotiert im Kopf, Klaus Mitter trägt ungerührt seine Trommel immer wieder den Gang entlang, Lelo Brossmann macht 20mal dieselbe Handbewegung, Martin Offenhuber steht stoisch wie ein Fels in der Brandung und wird dafür in der Pause von ein paar Mädels umringt. Franz Wenzl klebt das Hemd am Körper, und mein Kardiofitnesslevel erreicht Bergsteigerwerte.

Ein knappes Jahr später sehen wir uns wieder. »Die Drehbuchautoren haben uns im Rabenhof-Theater mit dem Sibylle-Berg-Stück ›Viel gut essen‹ gesehen, haben die Idee entwickelt, dass die junge Kommissarin Kreisky-Fan ist und uns mit vier Songs aus dem letzten Album ins Script geschrieben.« Während sich Franz im schönen traditionellen, natürlich L-förmigen »Café Goldegg« im 4. Wiener Bezirk ein bisserl rockstarmäßig um halb elf ein Frühaufsteherfrühstück bestellt, hat Klaus zunächst dafür gesorgt, dass mein Telefonmikro gut ausgerichtet ist, und erzählt von der Zusammenarbeit mit dem »Tatort«-Team.

»Ein großer Soundtrackfan und -fuchs ist er«, bestätigt der Kollege, und so warf die Band alle Zweifel über Bord und griff zu, als sich die überraschende Chance ergab. Noch immer sind sie erstaunt über die »flachen Hierarchien« – schon nach kurzer Zeit und zwei Telefonaten war klar, dass Kreisky zum bereits vorhandenen Filmmaterial auch den gesamten Score, die speziell komponierte Filmmusik, liefern wird: Bandstücke, minimalistische Klänge, flächige Soundscapes. Entstanden in unkomplizierter, respektvoller Zusammenarbeit mit Regisseurin Evi Romen (die übrigens Klavier und Violincello studiert hat), mit Cutterin und Tonschnitt, die Band konnte mitarbeiten, ausprobieren.

»Was ist das für eine Welt / Was ist das für eine Logik / Man entlässt 100 Leute / Man stellt 100 Leute ein / Und damit spart man Geld / Viel Geld / Viel Geld / Viel Geld.« Kreisky – der Bandname ist vom legendären jüdischen SPÖ-Kanzler geliehen, als vage positive Utopie – haben keine Illusionen über diese Welt. Die gerade erschienene EP mit der Filmmusik zeichnet eine düstere Realität. »Eine Welt voll unnötiger Härte / Eine Welt voller Brutalität / Eine Welt aus gesunkenen Schiffen / Die keiner mehr heben will / Eine Welt voll Hass / Eine Welt voll Neid / Eine Welt des Aneinandervorbei / Eine Welt, in der egal, wie man rechnet / Irgendwer überbleibt / Eine Welt so blöd, es ist zum Schreien / Eine blöde Welt, eine böse Welt / Und trotzdem die einzige Welt.«