Jemand, den du nicht getötet hast

Adam Greens Album »That Fucking Feeling« – »Ä-däm!« – Der Mann im Buchhalterkostüm versucht sich als Groupie. Irgendwie ist für ihn an diesem Abend alles schiefgegangen, jetzt will er mal so richtig ausflippen. Blue Bird Festival – das Wiener »Porgy & Bess« ist gerappelt voll, trotzdem hat der Buchhalter (vielleicht ist er auch Englischlehrer oder Konsulent in einer Anwaltskanzlei?) bis jetzt verbissen den leeren Platz neben sich verteidigen können. Doch die sehnsüchtig erwartete Freundin lässt sich Zeit, und als er sie kurz vor dem Auftritt des Headliners Adam Green endlich erreicht, muss er ihr sogar die Adresse buchstabieren.

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Jemand, den du nicht getötet hast
Adam Greens Album »That Fucking Feeling«
Von Eileen Heerdegen

»Ä-däm!« – Der Mann im Buchhalterkostüm versucht sich als Groupie. Irgendwie ist für ihn an diesem Abend alles schiefgegangen, jetzt will er mal so richtig ausflippen. Blue Bird Festival – das Wiener »Porgy & Bess« ist gerappelt voll, trotzdem hat der Buchhalter (vielleicht ist er auch Englischlehrer oder Konsulent in einer Anwaltskanzlei?) bis jetzt verbissen den leeren Platz neben sich verteidigen können. Doch die sehnsüchtig erwartete Freundin lässt sich Zeit, und als er sie kurz vor dem Auftritt des Headliners Adam Green endlich erreicht, muss er ihr sogar die Adresse buchstabieren. Die Menge grölt mittlerweile »­Ä-däm!, ­Ä-däm!«, und der gedemütigte Buchhalter versucht mitzuhalten, auch wenn sein selbstbefreiender Akt eher wie das letzte Stöhnen eines verendenden Tieres klingt.

Endlich. Adam Green. Mit schüchternem Grinsen, verwuschelten Locken und einem Gitarristen namens Francesco, der eine Touri-Kapitänsmütze mit aufgesticktem »Venezia«-Schriftzug trägt. Ein Drum-Computer mit Fußbedienung, eine angesoffene Performance und exakt gegen den Takt ungelenke Tanzmoves – that’s Mr. Green, der Konservator des einzigartigen Woody-Allen-New-York-Universums mit seinen Losern und Peinlichkeiten.

Der Auftritt war bereits 2013 und markiert die zeitliche Mitte zwischen Greens ersten Erfolgen und seinem jüngstem Album »That Fucking Feel­ing«. Zehn Titel, nur 20 Minuten Gesamtspieldauer.

Kurze Stücke, um das Publikum nicht zu langweilen – das war schon immer Adam Greens Maxime. Geschont hat er seine Fans dennoch nicht. Der weiche, hübsche Bub mit den verschlafenen schönen Augen und der erstaunlich kräftigen, dunklen Stimme, sang etwa davon, wie leicht es ist, ein Mädchen ohne Beine zu ficken, wenn man ihm nur seine Liebe versichert, während es davonkriecht (»No Legs«, 2003). Er sang von Prostituierten und von der Liebe zu einer Minderjährigen in seinem größten Hit, dem 2005 auf der LP »Gemstones« veröffentlichten »Emily«. Auf »Gemstones« findet sich auch ausnahmsweise mal eine realpolitische Textzeile – er würde sich einen Schwanz bis zum Ersticken in den Hals schieben, wenn George W. Bush ihm die Hand schütteln sollte (»Choke on a Cock«).

Was wäre das Woody-Allen-Universum ohne Analytiker – aber Adam Green geriet an einen, der sich vor allem und in allen Einzelheiten für seine kindlichen Masturbationen interessierte, das dürfte wenig hilfreich gewesen sein. Mittlerweile 41 Jahre alt und Familienvater in zweiter Ehe (die erste Ehefrau mochte weder das betrunkene noch das nüchterne Ich ihres Mannes), nach zwei Filmprojekten und diversen Ausstellungen als Maler comicartiger Kunst, nennt der Künstler sein mittlerweile elftes Album »Verdammtes Gefühl«. Und das ist eher düster, zudem scheint der frühe, böse Sarkasmus allgemeiner Traurigkeit gewichen zu sein: »Do you think of yourself as someone you have not killed?« (»Blackout«; frei übersetzt: Denkst du an dich selbst, als jemand, den du nicht getötet hast?) – oder im Titelsong »That Fuck­ing Feel­ing«: »Hard truths implore you to run away«. Aber was erwartet man … »in a town where everyone’s sad«? Die meisten Songs sind zurückhaltend instrumentiert, zwei gibt’s zusätzlich als reine Akustikversionen.

Zwei textlich eher assoziative Stücke, »Red Copper Room« und »Dreidels of Fire« unterscheiden sich interessanterweise auch musikalisch stark vom Übrigen. Das erste klingt nach Osteuropa, und das ist jetzt der Punkt, wo die obligatorische Erwähnung passt, dass Adam Green immerhin der Urenkel von Franz Kafkas erster Verlobter Felice Bauer ist. Der Fiddler-Style würde thematisch eher zu den Dreidels passen, dort geht es aber fast rockig zu.

Musikalisch sind alle Alben von Adam Green sowohl individuell als auch völlig gleich. Bei Leonard Cohen hat auch niemand verlangt, dass mal etwas ganz aufregend Neues kommt, dasselbe gilt für Adam Green. Manches ist einfach schön und sollte bewahrt werden.