Der Vorhang ist gefallen

Zum Tod des Popsängers, Songwriters, Melancholikers und Kosmopoliten Terry Hall.

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Der Vorhang ist gefallen
Zum Tod des Popsängers, Songwriters, Melancholikers und Kosmopoliten Terry Hall
Von Eileen Heerdegen

Meine unvergessene Namensgeberin, Eileen aus Sutton Coldfield bei Birmingham, hätte »oh dear« gesagt, könnte ich ihr von Terry Halls Tod erzählen, auch wenn sie ihn wahrscheinlich nicht kannte, und noch einmal »oh dear« bei dem Gedanken daran, dass in den späteren Jahren jedes Konzert der Specials mit dem alten Hit »Enjoy Yourself« begann. Den kannte sie sicher von Bing Crosby oder Doris Day. »Enjoy yourself it’s later than you think / The years go by as quickly as you wink.« Es stimmt. Blitzschnell. Eben waren noch alle jung, sogar Eileen. »Our House« von Madness, das war für mich immer das Arbeiterglückhäuschen mit dem schmalen Garten und der Vogeltränke.

Bei Terry Hall wird es ähnlich gewesen sein, Coventry ist schließlich nur 30 Minuten entfernt. Black Country – das steht für Kohlenstaub, für die Drecksluft der Fabrikschlote, nicht etwa für besondere Sympathie Kollegen und Nachbarn dunkler Hautfarbe gegenüber. Gerade in den schwierigen Zeiten der Endsiebziger wuchs der Rassismus. Gleichzeitig wurde ausgerechnet schwarze Musik, der Ska aus Jamaika, im Zuge des Mod-Revivals Nachfolger der Punkära. Auf dem Weg zum New Wave war Spaß und Tanzen angesagt. Neben Bad Manners und Madness waren die Specials mit Leadsänger Terry Hall Ikonen der neuen Popkultur. Über das eigene 2-Tone-Label wurde das schwarz-weiße Schachbrettmuster gleichermaßen Mode und Symbol. Dass zwei der sieben Bandmitglieder schwarz waren, ist zufällige Selbstverständlichkeit.

»Zwei Schwarze und ein Jude«, hat Terry Hall die Todesdrohungen vom ­British Movement kommentiert, seine Mutter hat darauf bestanden, dass er einen Davidstern als Glücksbringer trägt. Rassismus war ihm zutiefst zuwider, mit dem Album »The Hour of Two Lights«, gemeinsam mit dem Musikproduzenten Mushtaq, dessen Eltern aus Bangladesh und dem Iran stammen, einer zwölfjährigen libanesischen Sängerin, einem algerischen Rapper und einer Gruppe polnischer Roma, hat er 2003 ganz bewusst nach dem 11. September ein deutliches Zeichen für Verständigung gesetzt.

Schon Anfang der 80er war die Welt nicht in Ordnung. Mrs. Thatcher hatte zugeschlagen, hohe Jugendarbeitslosigkeit und kaum Unemployment ­benefit (die Gruppe UB 40 konnte ein Lied davon singen und benannte sich gleich nach dem Namen des Antragformulars). Die Specials hatten Hits wie »Too Much Too Young« – frei nach Lloyd Charmers’ »Birth Control« – über Teenieschwangerschaften sowie »A Message to You, Rudy«, ein Cover des Reggaemusikers Dandy Living­stone, das sich an die Rude boys richtet, in Jamaika ursprünglich eine Gruppe hipper Anzugträger mit Pork-pie-Hütchen, in England damals zunehmend gewaltbereite Gruppen mit Skinheadtendenzen (die subkulturelle Figur des »Skinheads« hat allerdings selbst jamaikanische Wurzeln).

Ausgerechnet nach »Ghost Town«, einem Nummer-eins-Hit über das Sterben der Innenstädte, verließ Terry Hall die Band, mutierte zum New Romantic und gründete zusammen mit zwei weiteren Ex-Specials, Lynval Golding und Neville Staple, die Formation Fun Boy Three. Deren »The Lunatics (Have ­Taken Over the Asylum)« (Die Verrückten haben die Anstalt übernommen) ist ein wirklich geiles Stück Musik. Ein sehr akzentuierter Rhythmus zwischen Rumba und Cha-Cha-Cha schleicht sich in Gehirn und Beine und geht nicht mehr weg. Es folgten diverse Projekte. Mit den Lightning Seeds entstand das schöne, aber wenig erfolgreiche »Sense«. 2008 kam die Specials-Reunion, 2019 das Album »Encore«.

Terry Hall war im Alter von zwölf Jahren entführt und missbraucht worden. Er wurde tabletten- und alkoholabhängig, 2004 versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Besonders berührend ist ein gemeinsamer Auftritt mit Amy Winehouse beim V Festival 2009 mit dem alten Specials-Klassiker, »You’re Wondering Now« (ebenfalls die Cover­version eines alten jamaikanischen Hits): »You’re wondering now / What to do, now you know this is the end / Curtain has fallen / Now you’re on your own / I won’t return / Forever you will wait.«

Der Vorhang ist viel zu früh gefallen, aber nachdem nun weltweit die Verrückten übernommen haben, ist Terry Hall vielleicht einfach nur dem Irrsinn entkommen.