Cabaret in der Wotrubakirche

Uraufführung „Jeder stirbt für sich allein“ nach Hans Fallada im Wiener Theater in der Josefstadt

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Cabaret in der Wotrubakirche
„Jeder stirbt für sich allein“ in der Wiener Josefstadt
Von Eileen Heerdegen

Am Ende hat doch die katholische Kirche gesiegt. Franz Wittenbrink, Komponist der Uraufführung des musikalischen Schauspiels nach Hans Fallada im Wiener Theater in der Josefstadt (10.12.), beichtet öffentlich, dass er mal Kommunist war. Zum Glück hat ihn „sein Verstand“ (und ein bisschen das Theater) gerettet, aber vielleicht war’s auch die Verwandtschaft zum emeritierten Bischof von Augsburg. Das ist sicher nicht leicht, da muss man Nachsicht haben. Genau wie mit Tobias Reinthaller, der wahrscheinlich am Vortag den 30. Geburtstag zu exzessiv gefeiert hat, und deshalb sein Duett zu Beginn des Stückes völlig versemmelt. 

Zurück zur Kirche. Das graue Monument auf der Bühne gehört zu den Highlights des Abends. Bewusst oder zufällig der Wotrubakirche im 23. Wiener Außenbezirk nachempfunden, deren abweisender 70er Jahre Betonstil nicht von ungefähr „Brutalismus“ heißt. Genau das symbolisiert das gelungene, sich kaum verändernde und trotzdem anpassbare Bühnenbild. Hier ahnt man den Druck und die Angst, die das Leben in der Nazi-Diktatur bestimmen.

Hans Falladas düsterer Roman um die wahre Geschichte eines Ehepaars, das nach dem Kriegstod des einzigen Sohnes von Mitläufern zu Widerständlern wird, heimlich Postkarten mit entsprechenden Parolen verteilt und am Ende hingerichtet wird, erzählt eine so tragische Geschichte über die Zerbrechlichkeit menschlicher Moral, dass nicht einmal der Autor bei der Wahrheit bleiben konnte. Denn das echte Paar ging nicht Hand in Hand zum Schafott, sondern verriet sich zum Schluss gegenseitig, um das eigene Leben zu retten. 

Franz Wittenbrink sieht sich in der Tradition von Kurt Weill und John Kander („Cabaret“). Sein Versuch, die Tragödie über die Musik erlebbarer zu machen, gelingt dort, wo er sich an Weill orientiert. Als eine Art Filmmusik wäre die hervorragende Band perfekt gewesen, die Gesangspassagen aber wirken aufgesetzt. Szenen im Musiklokal „Paprika“ bieten den Schauspielern Gelegenheit, ihre Vielseitigkeit zu zeigen (sehr komisch Marcello De Nardo als langbeinige, hochhackige Kellner-Diva oder auch Paul Matic, der meist „trocken“ besetzt wird, als überraschender Gesangszwilling von Max Raabe), das hat aber mit der latent aggressiven Stimmung in „Cabaret“ nichts zu tun.

Stimmlich punktet vor allem die Hamburgerin Susa Meyer, ihr Duett mit der Jüdin Rosenthal (Elfriede Schüsseleder, überzeugt insgesamt) gehört zu den leider wenigen anrührenden Szenen der Aufführung.

Michael Dangl gibt den Ehemann etwas sehr verstockt, die Slapsticknummer mit einem Schupo gerät unpassend und albern. Robert Joseph Bartl hält die Balance zwischen schleimigem Augenzudrücker und strammem Obergruppenführer, Julian Valerio Rehl ist sein passender Scherge.

Dieses Stück könnte bis ins Mark berühren. Doch nur eine Szene wird dem Grauen gerecht: Raphael von Bargen als zuvor gefolterter Kommissar überredet den Kleinkriminellen, fälschlich als Postkartenschreiber inhaftierten Enno Kluge (Claudius von Stolzmann) zum Selbstmord, um ihn und sich selbst zu schützen. Wegen solcher Momente lohnt sich Theater immer.

Dieses Stück könnte aufwühlen: Wehret den Anfängen! Klimaaktivisten werden ohne Urteil inhaftiert, die Politik fordert härteste Strafen für Protestierer. Das Programmheft berichtet allerdings nur den Fall einer Kriegsgegnerin in Russland, ein Staat, den die meisten wohl kaum als lupenreine Demokratie ansehen. Und wenn Franz Wittenbrink trotz NSU, trotz Stimmengewinnen für AfD und FPÖ, trotz Reichsbürgern, betont, „die Gefahren liegen nicht nur bei den braunen Knüppelhorden“ und ihm dann nur ein Zitat (nein, nicht von einem „jüdischen Philosophen“, sondern vom gern von Rechten zitierten italienischen Schriftsteller Silone) über einen, möglicherweise im Gewand des Antifaschismus daherkommenden neuen Faschismus einfällt, dann ist das gerade in diesem Zusammenhang sehr viel ärgerlicher als jedes unbefriedigende Konzept und jeder schiefe Ton.