Schwarzes Wurzelwerk

Der Soundtrack zum Film „Elvis“ von Baz Luhrmann ist extrem gelungen und um Längen besser als der Film – ein echtes Kunstwerk.

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Schwarzes Wurzelwerk
Der fulminante Soundtrack zum Film »Elvis«
Von Eileen Heerdegen

Der Zug ist abgefahren oder auch »Elvis has left the building«. Heißt ungefähr das gleiche, und die mittlerweile geflügelten Worte haben ihren Ursprung angeblich in der Notwendigkeit, kreischenden Fans die Sinnlosigkeit weiteren Wartens auf den »King« zu verdeutlichen.

Nun ist er zurück und zwar back in black. Der insgesamt eher enttäuschende Film »Elvis« von Baz Luhrmann punktet vor allem dort, wo er nicht die Person, die private Geschichte in den Mittelpunkt stellt, sondern die Bedeutung dieses Künstlers für die Entwicklung der modernen Musik. Ein Weißer, der schwarze Musik in Zeiten der Rassentrennung gesellschaftsfähig macht, der das prüde Amerika mit sexualisierten Tanzbewegungen zum Toben bringt. Die Elvis-Generation hat die revolutionäre Komponente des Sängers wahrscheinlich vergessen oder verdrängt, wir Nachgeborenen kennen vor allem die füllige Schmalzbacke, die im strassbesetzten Jumpsuit im glitzernden Las Vegas für ein zahlungskräftiges Publikum den Affen gemacht hat. Die noch (viel) jüngeren werden sich den Film gar nicht erst ansehen, vielleicht aber den Soundtrack streamen. Das Konzept der Filmmusik feiert, ähnlich wie der Film, eine gewisse Anarchie, was Auswahl, Schnitte und Mischung betrifft, und schafft es damit, Elvis und seine Musik aus der Tragödie der späten Jahre zu retten, aus der kleidungstechnischen Demenz zurück in die grellfarbenen Anzüge der schwarzen Jugendlichen und ihrer Musik.

»Coming Home to Stay«, einer der nicht allzu vielen von Elvis selbst gesungenen Songs der Filmmusik ist Programm: Gekommen, um zu bleiben. Rock ’n’ Roll, Blues, Soul, HipHop, Alternative, R & B, Rap, Pop, Soft Hard Rock – Künstler von Stevie Nicks über Chris Isaac, Eminem, Jack White, Doja Cat, Yola bis zu den Italo-Glamrockern von Maneskin, von reduziert bis pompös arrangiert – dieser Soundtrack ist das eigentliche Kunstwerk.

Ein nur kurz angespieltes ­»Suspicious minds«, rasant gefolgt von einem opulenten Mix aus »Also sprach Zarathustra/An American Trilogy«, dann »Vegas«, gerappt von Doja Cat, kombiniert mit Elementen aus »Hound Dog«, und schon ist man perfekt eingestimmt auf dieses schwarze Wurzelwerk mit buntem Drüberstreuer.

»The King and I«, eine sehr eigene Auseinandersetzung von Eminem mit Elvis und dem 57er »Jailhouse Rock« klingt so neu und aufregend wie Presleys erster Hit, »It’s Alright« in der »Tupelo Shuffle« genannten Zusammenarbeit des Rappers Swae Lee mit dem Elektroniker Diplo. Die (überarbeiteten) Originale von Elvis selbst oder seinem Darsteller Austin Butler sind auch durchaus hörenswert, wobei der Reiz aber eindeutig bei den Neuinterpretationen liegt, und ein Song wie »In the Ghetto« als Kombi des Originals mit dem 20jährigen Gangsta-Rapper Nardo Wick endlich seinen den Inhalt verkleisternden Sirup verliert.

Ein Highlight ist ganz sicher das basslastig bis in die Knochen gehende »Hound Dog« von Shonka Dukureh, das authentischer klingt als das tatsächliche Original von Big Mama Thornton, deren Rolle Dukureh im Film übernommen hat. Das sollte der künstlerische Durchbruch für die 44jährige sein und wäre es sicher geworden, tragischerweise verstarb die Sängerin gerade jetzt, am 22. Juli, genau eine Woche vor dem offiziellen Verkaufsstart der CD.

Ich gebe zu, ich habe Elvis nie gemocht. Aber wenn man nach der Fahrt durch den Soundtrack wieder aussteigt, könnt’ man fast sagen: Can’t help ­falling in love.