Krieg und Frieden

Jesus velor gegen die Ukraine – mein Beitrag zum Eurovision Song Contest:

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Krieg und Frieden
Wie von Buchmachern und Propagandisten erwartet: Die Ukraine gewinnt noch deutlich vor Jesus beim Eurovision Song Contest
Von Eileen Heerdegen

Der Weltkrieg war 1964 noch keine 20 Jahre vorbei und die 16jährige Italienerin Gigliola Cinquetti angeblich noch zu jung für die Liebe (»Non ho l’età«). Für diese brave Einstellung wurde sie mit dem Sieg beim Eurovision Song Contest (ESC), damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson, belohnt. Als sie 1974 erneut antrat, aber knapp hinter ABBA landete, waren neue Zeiten angebrochen. Zu jung? Zwölfjährige hatten stolz »Willy-wählen«-Buttons getragen (Brandt war tatsächlich noch Kanzler), und in der Bergedorfer Kneipe mit dem ganzjährig geschmückten Weihnachtsbaum und dem ständig laufenden Fernseher hatte sich die alte Wirtin in der geblümten Kittelschürze nicht dafür interessiert, dass wir weit davon entfernt waren, legal Alkohol konsumieren zu dürfen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich lautstark über die silbernen Plateaustiefel der vier Schweden auszulassen. Wir hatten währenddessen zum ersten Mal »Waterloo« gehört. Es war »eine liebe Zeit«, wie es beim »Königlich Bayerischen Amtsgericht« immer hieß.

1982 hatte gerade der Falklandkrieg begonnen, weshalb die ebenfalls 16jährige Nicole, ebenfalls sehr brav (optisch wie musikalisch), um ein bisschen Frieden bat. Heute bekäme sie eine Kopfnuss dafür, damals massenhaft ­»douze points« und Platz eins. Damit sich 40 Jahre später nicht wieder solcherart Schwurbler unter die Musikanten mischen, wurde auf eine laut Reglement »unpolitische Veranstaltung« eingeschworen. Russland wurde ausgeschlossen, und auf allgemeinen Wunsch sollte die Ukraine wenigstens hier gewinnen, ganz ohne Blut, Schweiß und Tränen und all das Hässliche, was einen Krieg so ausmacht. Dabei hat die Ukraine das wirklich nicht verdient. Nicht den Krieg, nicht das Elend und nicht einmal einen Mitleidsbonus beim ESC. Man kann über die rosa Deppenmütze des Sängers genau wie über den Text (eine Mutterverehrung) hinwegsehen, es bleibt ein interessanter Mix aus Rap und Balkan-Folk. Leider um einiges besser als meine moldawische Lieblings-Hardcore-Folk-Truppe Zdob si Zdub, die sich für ihre ESC-Teilnahmen immer selbst weichspült.

Die lustigen Georgier sind leider nicht ins Finale gekommen, Österreich auch nicht. Die albanische böse Schwester von Superwoman mit den beeindruckenden Schenkeln wurde ebenfalls im Vorentscheid abgewählt, so auch das kleine grüne Männlein aus Lettland, das den Veggie-Trend für einen seltsamen Text inklusive Hinweis auf seine dicke Wurst missbrauchte. Selbst Gay Pride hatte es schwer. Nicht einmal der italienische Superstar Achille Lauro, der im schwarzen Spitzenganzkörperkondom einen verruchten Suzie-Quattro-Wiedergänger gab, kam weiter. Ein Australier mit Traumschiffstewardoberteil, Schwanenunterteil und Gesichtsperlenvorhang landete am Ende nur im hinteren Mittelfeld. Verdient. Was bei Conchita Wurst ein politisches Statement war – Stil, Stolz und Grandezza – bleibt hier Attitüde.

Im Kriegsjahr 2022 begann das Finale vor den Toren mit 1.000 Musikern und »Give Peace a Chance« (Plastic Ono Band, 1969). Die 7.000 Zuschauer im Saal übernahmen anschließend. Ein durchaus beeindruckender Moment. Und dann? Ein rumänischer Torero, ein estnischer Cowboy, eine bauchfreie Holländerin mit Anspruch, arschfreie Spanierinnen ohne Anspruch aber mit Tanzpotential (Platz 3), eine Schwedin, die zu oft Lady Gagas »Shallow« gehört hat (Platz 4), ein sehr guter Belgier, der nicht belohnt wurde, sowie andere, die ich vergessen habe. Das ukrainische Kalush Orchestra lag mit »Stefania« am Ende tatsächlich deutlich auf Platz 1 vor dem britischen Jesus-Lookalike Sam Ryder (»Space Man«).

Deutschland endete mit Malik Harris ganz hinten und der einzige tatsächlich politische Beitrag kam aus Serbien. »In corpore sano« – avantgardistisch und unkonventionell performt von Konstrakta. Nicht mit 1936er Ungeist wie meist falsch zitiert, sondern buchstäblich nach dem römischen Satiriker Juvenal und seinem Motto, darum zu bitten, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnen möge, stellt sie die Fragen unserer Zeit: »A sick mind, a sad soul, a desperate mind, a frightened mind in a healthy body – so what now?« (Ein kranker Geist, eine traurige Seele, ein verzweifelter Geist, ein verängstigter Geist in einem gesunden Körper – also was nun?).