Am Sonntag, 24. 4., verstarb der Wiener Musiker Willi Resetarits bei einem Treppensturz. Ich verbinde sehr persönliche Erinnerungen mit Willi und habe einen Nachruf für die Tageszeitung „junge Welt“ geschrieben.
Hier der link zum Artikel:
https://www.jungewelt.de/artikel/425464.nachruf-wann-die-musik-vuabei-ist
Hier der Text:
Wann die Musik vuabei ist
Proletenpassion: Zum Tod des Wiener Sängers Willi Resetarits
Von Eileen Heerdegen
Das WG-Klo ist mit Zeitungsseiten tapeziert. Das junge Mädchen aus Hamburg, zu Besuch bei den Wiener Schmetterlingen, kann einfach das Bett vom Willi benutzen, weil der Willi gerade eine Striptease-Tänzerin zu einem Auftritt nach Südtirol fährt. Das Bett muss dafür nicht extra neu bezogen werden, 1977 lebt es sich unkompliziert. 1977 kennt man aber eigentlich, zumal in der linken Szene, auch keine Striptease-Tänzerinnen, der Willi schon. Wilhelm »Willi« Resetarits, 1948 im burgenländischen Stinatz geboren, war schon ein »bissl a wüder Hund«, aber vor allem einfach ein Menschenfreund ohne Vorurteile. Ein außerordentlicher Musiker und ein Aktivist für die Rechte der Verzweifelten. Einer, bei dem immer klar war, auf wessen Seite er stand.
»Wir hatten Gräber und ihr hattet Siege.« Als charismatischer Frontmann der Polit-Folk-Rock-Gruppe »Schmetterlinge« hat Willi Resetarits mit seiner Band und der 1976 zu den Wiener Festwochen uraufgeführten »Proletenpassion« auch in Deutschland sein Publikum begeistern können. Ein modernes Oratorium, eine Zeitreise durch die Geschichte aus Sicht der Beherrschten, der Vergessenen, aber auch der Kämpfer und der Arbeiterbewegung. Ein Meilenstein deutschsprachiger Musikkultur, auch wenn viele der Texte von Heinz R. Unger heute doch arg plakativ wirken. »Wuascht«, wie der Wiener sagt, und der Willi hat in einem Interview Édith Piaf zitiert. Nein, auch er hat nichts bereut.
Und in der Tat gab es da auch nichts zu bereuen. Musikalisch ein Weg ständiger Weiterentwicklung und Neuerfindung, politisch eine aufrechte und konsequente Haltung, beispielsweise als Mitbegründer von SOS Mitmensch, Asyl in Not und des Wiener Integrationshauses.
Irgendwann in den 80ern stand ich müde nach einer Wanderung in Kärnten an der Bushaltestelle vor einem Weltbild-Schallplattengeschäft. Ostbahn-Kurti & die Chefpartie lagen im Fenster – und ich dachte, der sieht ja aus wie der Willi. War er auch. Die wohl größte Transformation in seinem Leben war wohl die in den Prolomusikhelden Ostbahn-Kurti, später sogar als Dr. Kurt Ostbahn österreichadäquat geadelt. Die vom Journalisten Günter Brödl erfundene und im 11. Bezirk, Simmering, an der Ostbahn (sozusagen die Wiener Bronx) beheimatete Kunstfigur füllte Willi Resetarits Jahrzehnte mit Leben. Zunächst als typischer 80er Macho im Unterhemd mit tiefen Armausschnitten und Hosen, deren 120 Bundfalten knapp unter der Brust saßen, mit Publikumsbeschimpfung und immer mit einem Doppelliter Billigwein auf der Bühne (und offenbar auch einem realen Alkoholproblem), und schließlich ab 2014 zum 30jährigen Jubiläum wieder als freundlicher, älterer Herr, der nichts von seinem Feuer eingebüßt hatte. Die typischen Ostbahn-Hits sind zum großen Teil ins Wienerische transportierte amerikanische Rock- und Bluesrock-Nummern, nach Originalen u. a. von Bruce Springsteen, aber auch Willy DeVille oder auch Fats Domino. Im heftigen Dialekt der Wiener Arbeiterklasse, der wahrlich nichts mit dem Fake-Schmäh Peter Alexanders gemein hat, geht’s hier, wie immer im Leben, um Liebe und Leid, aber eben auch wieder um die Lebenswirklichkeit der Unterprivilegierten. »Denn in die Oarbeit, in die Oarbeit kommt man nie zu spät«. Und zum Abschluss traditionell das sentimentale »Wann die Musik vuabei ist«.
Willi Resetarits war Burgenland-Kroate und hatte erst mit drei Jahren im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten Deutsch gelernt. Ihm waren die proletarischen, aber auch die sprachlichen Wurzeln wichtig. Und hier immer wieder das Wienerlied in all seinen Facetten. Vertonungen von Gedichten H. C. Artmanns, oder auch die gerade erst mit einem »Amadeus«, dem wichtigsten österreichischen Musikpreis, ausgezeichnete Gemeinschaftsarbeit Molden/Resetarits/Soyka/Wirth.
Alle Preise und Projekte aufzuführen, geräte ins Uferlose. Eines seiner berührendsten Duette ist sicher »At my window«/»Liagn und Lochn« mit Townes Van Zandt. »Living is laughing, dying says nothing at all.«
2005 oder 2006 habe ich ihn bei einem »Stubnblues«-Konzert wiedergetroffen. Das vereinbarte Interview fand leider nie statt. Wir glaubten, immer noch genug Zeit zu haben.
Ein neuer Termin fiel zunächst Corona zum Opfer und jetzt, am 24. April, einem gottverdammten Treppensturz. Es gibt keine Fragen und keine Antworten mehr, es ist nur noch still, die Musik ist vorbei.